0866 - Rattennacht
Er heißt Absalom oder nennt sich so. Absalom war ein Brudermörder. Läßt diese Tatsache auch auf unseren Rattenkönig schließen?«
»Das weiß ich nicht. Sollen wir nach einem Brudermörder fahnden?«
»Bestimmt nicht.« Shao drehte mit dem leeren Glas Kreise auf die Marmorplatte des Tisches. »Da wäre noch etwas, das mich stark stört.«
»Und was?«
»Ich frage mich, ob dieser Absalom ein Mensch oder ein Dämon ist. Hast du darüber schon nachgedacht?«
»Noch nicht.«
»Das sollten wir aber.«
»Warum?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Für mich gibt es noch immer Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Dämon. Vielleicht reagiere ich bei einem Menschen auch befangener.«
»Bestimmt sogar.«
Sie hörten Sirenenklang in der Nähe. Sicherlich fuhren Kranken- oder Polizeiwagen zur Metro-Station. Ein Ratten-Überfall war selbst in Paris nicht an der Tagesordnung.
Die beiden ließen sich davon nicht beirren und spannen ihre Fäden weiter. »Warum gerade auf einem Friedhof, Suko? Warum hält sich dieser Absalom dort auf?«
»Weil es ihm dort gefällt?«
Shao verzog die Lippen. »Eine miese Antwort«, sagte sie. »Nein, das glaube ich nicht.«
»Sondern?«
»Ich denke jetzt mal quer.«
»Tu das.«
»Wer hält sich auf einem Friedhof auf? Von wem sind wir das gewohnt? Da gibt es im Prinzip nur eine dämonische Abart, wenn ich recht unterrichtet bin, die Ghouls.«
Suko nickte.
»Was sagst du dazu?«
»Sprich weiter.«
»Nun ja, es könnte ja sein, daß Absalom in seiner wahren Gestalt uns als Ghoul irgendwann über den Weg läuft.«
Suko trank, schluckte und fragte dann: »Was ist mit den Ratten? Zählst du sie auch dazu? Sind es Ghoul-Ratten?«
»So ungefähr.«
»Das ist weit hergeholt.«
»Ich weiß, aber ich suche nach einer Möglichkeit. Tote liegen genug auf dem Friedhof. Sie wären für die Ghoul-Ratten und ihren Herrn und Meister eine willkommene Nahrung!«
»Hast du etwas gerochen?« erkundigte sich Suko.
»Du meinst Moder?«
»Was sonst?«
»Kann sein.« Shao hob die Schultern. »Er stank schon komisch. Ich will damit sagen, daß er nicht normal roch. Wir sollten diese Lösung nicht aus den Augen lassen. Ghoul-Ratten, angeführt von einem Ghoul auf zwei Beinen, für mich ist alles möglich.«
Suko nickte versonnen. »Dann bleibt der Friedhof auch weiterhin unser Ziel.«
»Aber nicht allein.«
»Nein, wir werden zu dritt sein.« Er schaute auf die Uhr. »Der Friedhof läuft uns nicht weg, aber ein gewisser John Sinclair wird leicht sauer sein, wenn er uns nicht trifft.«
»Zum Hotel also?«
»Ja.«
Suko war schon halb aufgestanden, als Shao ihm eine Hand auf den Arm legte. »Weißt du, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist? Ich denke daran, daß die Ratten auch im Hotel sein können, um uns nicht aus den Augen zu lassen.«
Suko blieb ernst bei seiner Antwort.
»Mittlerweile, Shao, schließ ich auch das nicht mehr aus…«
***
Paris hatte mich mal wieder!
Nicht einmal vorbereitet, sondern blitzschnell, beinahe wie ein Überfall. Nach der Landung war ich nicht geschockt, denn die Hitze war mir von Neapel noch in guter Erinnerung geblieben. Gut würde auch die Erinnerung an den Flug bleiben, denn ich war pünktlich gelandet und riskierte es deshalb, mit einem Taxi in die Stadt hineinzufahren, wo ich im Interconti auf Suko und Shao treffen würde.
Auf die beiden Urlauber, die plötzlich Probleme bekommen hatten. Ich mußte darüber lächeln, denn mir war es schon ähnlich ergangen. Das Schicksal hatte eben für uns besondere Knoten parat. Deshalb hatte ich es mir angewöhnt, nach manchen Fällen die mich in die weite Welt führten, ein paar Tage Urlaub zu machen, damit ich auf meinen Schnitt kam. Aus Neapel hatte ich allerdings weggewollt, und nun sah ich die Kulisse von Paris aus den Fenstern des Wagens vorbeistreichen.
Wie schnell sich die Dinge doch ändern konnten, nicht ungewöhnlich im Zeitalter des Jets.
Zwar hatten die Ferien bereits begonnen, doch in Paris herrschte auch jetzt noch viel Verkehr.
Der Fahrer war ein schweigsamer Geselle, der eine flache Mütze auf dem Kopf trug und sicherlich stolz auf seine tätowierten Unterarme war. Zum kurzen Hemd trug er eine kurze Hose. Die helle Haut seiner Beine war mit schwarzen Härchen besetzt. Eine Klimaanlage hatte der alte Renault nicht, so strömte die heiße Luft durch die offenen Fenster, aromatisiert durch die Abgase.
Es war keine Freude, bei dieser Hitze zu fahren, aber allen anderen erging es
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