0866 - Rattennacht
Gewächse wie ausgesperrt. Die normale Kulisse drang nur als ein dumpfes Rauschen bis zu uns, hin und wieder unterbrochen von irgendwelchen Signallauten, abgegeben von Autohupen oder anderen Krachmachern.
»Wir stehen im Heuhaufen und suchen die Stecknadel«, sagte Shao. »Haben wir denn keinen weiteren Anhaltspunkt mehr?«
»Nein«, sagte Suko.
Von mir konnte sie keine Antwort erwarten. Ich war der Neuling auf diesem Gebiet. Jedenfalls hatte Suko wieder seine Beretta mitgenommen, so fühlte er sich nicht so nackt.
Wir gingen davon aus, daß sich Absalom nicht auf den breiten Wegen und Straßen aufhielt. Er war untergetaucht. Er hatte sicherlich seinen eigenen Flecken Erde, wo er sich besonders wohl fühlte.
Nach einigen Überlegungen waren wir auch davon ausgegangen, daß er sich nicht weit entfernt vom südlichen Eingang aufhielt. Der Friedhof war einfach zu groß, um ihn ganz beherrschen oder in Beschlag nehmen zu können. Da mußte man sich schon eine Ecke aussuchen.
»Wir könnten Kreise gehen, die immer größer werden«, schlug Shao vor.
Suko war damit einverstanden. Da mir nichts Besseres einfiel, stimmte auch ich zu.
Auf den Wegen wollten wir nicht unbedingt bleiben. Es war gut vorstellbar, daß sich auch die Ratten nicht an die Gesetze hielten und zwischen den Gräbern und Gruften herhuschten, bevor sie wieder in ihren Schlupfwinkel verschwanden.
Mit Shao und Suko hatte ich auch über den Begriff Ghoul-Ratten gesprochen und mich ihrer Meinung angeschlossen, daß eigentlich alles möglich war.
Sie würden sich in den Boden eingraben, Tunnels zwischen den Gräbern schaffen, um an das faulige Fleisch der Toten heranzukommen.
Wie es auch normale Ghouls taten.
Es dämmerte stärker. Mir kam es so vor, als wäre jemand dabei, den Himmel etappenweise zuzudecken. Die Schatten nahmen zu, und der Friedhof veränderte sich auf eine gespenstische Art und Weise. Es war keiner dieser alten irischen oder schottischen Friedhöfe mit schiefstehenden Grabsteinen und hohen Gräsern, die vom Wind gekämmt wurden. Dieser Totenacker für Prominente war eine Welt für sich, trotzdem änderte sich auch dessen Flair, als die Dämmerung heranschlich.
Da verloren die Grabstätten ihre Abgrenzungen. Umrisse flossen ineinander und schufen immer neue Bilder.
Das Areal bekam eben das berühmte Flair eines Friedhofs. Hinzu kam auch die Stille, nur manchmal unterbrochen, wenn der Wind mit den Blättern der Bäume spielte und sie rascheln ließ.
Keine Spur von Absalom!
Ich war auf den Mann gespannt. Man hatte ihn mir beschrieben. Er sollte wie ein Penner aussehen, aber das war er nicht. Es lag nicht allein an seinen Augen, die so seltsam hell in die Welt blickten, er mußte einen Hintergrund haben, den aber hatten Shao und Suko leider noch nicht herausfinden können.
Keiner von ihnen wußte, wo Absalom herkam, wer er tatsächlich war, ob er als normaler Mensch durchging oder nur ein Wesen war, das menschliche Gestalt angenommen hatte.
Fragen, auf die wir Antworten finden mußten und auch wollten. In dieser Nacht noch.
»Die erste Ratte!«
Suko hatte den Satz gesprochen. Shao und ich waren augenblicklich stehengeblieben, sahen das Tier aber nicht mehr, denn es hatte sich blitzschnell aus dem Staub gemacht.
»Wo?« fragte ich.
Suko ging auf ein kleines Grab zu. Er deutete auf eine Platte, deren Oberfläche bläulich schimmerte.
»Darunter ist sie hergekrochen.«
Ich glaubte ihm, auch wenn die Platte flach auf dem Boden lag. Da ich es genau wissen wollte, bückte ich mich und leuchtete mit der kleinen Lampe gegen den Rand.
Ich sah das Loch.
Nicht groß, mehr ein Spalt zwischen dem Erdboden und der Grabplatte, aber groß genug, um eine Ratte hindurchzulassen, denn diese Tiere konnten sich auch sehr schmal machen.
Eine zweite Ratte kam nicht, aber mir reichte zuvor eine. Suko erklärte uns, in welche Richtung sie verschwunden war, gab sich selbst aber gleichzeitig einen Dämpfer, als er davon sprach, daß sie auch Haken schlagen konnte, um Richtungen zu ändern.
Wir entschieden uns dafür, die Richtung beizubehalten, in die die Ratte verschwunden war.
Wir bewegten uns in Richtung Osten. Einige Male überquerten wir schmale Straßen, auch Wege, hielten uns aber immer weniger dort auf, sondern liefen quer durch das Gelände. Es war uns egal, ob unsere Füße auf der weichen Erde Spuren hinterließen oder nicht.
Eine zweite Ratte sahen wir nicht.
Dafür eine Hinweistafel, auf der ein Pfeil zu sehen war. Er führte zu
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