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0867 - Die Pesthexe von Wien

0867 - Die Pesthexe von Wien

Titel: 0867 - Die Pesthexe von Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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abladen.«
    »Du kennst sicher eine solche Stelle.«
    »Natürlich, Freund.« Sie stiegen von ihren Pferden, banden sie an einen Baum und gingen ein Stück durch den Wald, der sich hier weitläufig erstreckte und in Klosterbesitz war. An einem Steilhang, der zu einem weitläufigen Hügel gehörte, tat sich eine große Höhle auf. Sie führte ein Stück weit in den Hügel hinein und war so groß, dass die Männer bequem gehen konnten. »Es gibt hier viele dieser Höhlen, Freund«, erklärte der Augustiner. »Sie stammen aus der Zeit der Wiener Türkenbelagerung Anno Domini 1529. Seinerzeit durchstreiften türkische Reitersoldaten, Akinci genannt, auch das Umland und töteten mit ihren Pfeilen, die sie aus vollem Galopp vom Pferderücken aus verschossen, viele Bauern und deren Familien. So versteckten sich die Glücklicheren in diesen schnell gegrabenen Höhlen vor den grausamen Heiden. Auch während des dreißigjährigen Krieges taten diese Unterschlupfe den Bauern gute Dienste und wurden im Laufe der Zeit zu einem ganzen Höhlensystem ausgebaut, in dem man sich leicht verirren kann. Deswegen wagt sich kaum ein Mensch hinein. Dort drinnen wollen wir den Kelch auf alle Zeiten verschwinden lassen.«
    »Du bist öfters hier, Abraham«, stellte Franziskus fest, als der Augustiner Peckfackeln aus einer Nische nahm und sie entzündete.
    »Ja. Die Höhlen faszinieren mich.«
    Sie drangen weiter vor. Baumwurzeln ragten in die Gänge und erschwerten das Vorankommen, sorgten aber gleichzeitig für die Stabilität der Stollen. Überall bemerkte Franziskus Reste menschlicher Präsenz. Ratten huschten hin und her und verschwanden quiekend, als das Fackellicht sie traf. Auch einen Dachs stöberten sie auf. Brummend verschwand das Tier in einem Seitenstollen. Franziskus staunte, wie weitläufig die Gänge sich wirklich erstreckten.
    In einer größeren Höhle, die als vorübergehende Wohnung gedient hatte, wie an verschiedenen alten Kleiderresten und verrosteten Messern deutlich zu sehen war, verhielt der Augustiner. In einer Nische buddelte er mit bloßen Händen unter Zuhilfenahme seines Messers den Boden auf. Franziskus leuchtete ihm dabei. Schließlich befand Abraham, dass das Loch tief genug war. Er nahm das schwarze Gefäß vorsichtig aus der Tasche.
    Die beiden Mönche empfanden keinerlei Angst vor dem Kelch. Zum einen schützten sie sich mit ihren geweihten Kreuzen, zum anderen wussten sie, dass das hitzige Fieber sie nicht packen konnte. Sonst hätte es längst so weit sein müssen. Abraham war von Natur aus immun gegen den Keim. Und Franziskus, den die Pest zwar befallen und in einem nur leichten Verlauf Narben im Gesicht und am ganzen Körper zugefügt hatte, verdankte seine Immunität dem ehemaligen Fürsten der Finsternis. Denn Asmodis musste den Träger von Svantevits Flammenfratze so lange schützen, bis er einen Nachfolger für ihn gefunden hatte. [4]
    Abraham legte den Kelch in das Loch, scharrte es wieder zu und trat den Boden fest. Dann schleppte er mit Franziskus' Hilfe drei schwere Steine heran und legte sie darüber. »Damit kein wildes Tier ihn wieder ausgraben kann.«
    Anschließend machten sie sich auf den Rückweg nach Leopoldstadt, wo sie den Leichnam der bösen Hex ausgruben und ihn der Kaiserin zuliebe der Unterwelt des Stephansdoms übergaben.
    Irgendwann nachts erwachte Bruder Abraham aus schweren Alb träumen. Er stöhnte, als wehre er sich gegen etwas Unsichtbares. Dann erhob er sich, holte sein Pferd und trieb es gnadenlos durch den nächtlichen Wienerwald. Es war ein hartes Stück Arbeit, bis er den Kelch ausgegraben hatte. Keuchend, die Augen voller Triumph, hob er das unheimliche Relikt in die Höhe. Dann versteckte er es unter der Soutane und ritt direkt nach Wien. Kreuz und quer trug er den Pestkelch durch die Stadt und streute Tod und Verderben. Im Morgengrauen brachte er ihn an einen geheimen Ort.
    Das tat er viele Monate lang, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Erst als ihm Bruder Franziskus auf die Schliche kam, gelang die Wende zum Guten. Gemeinsam fasteten und beteten die Brüder viele Tage lang, eingesperrt in einer winzigen Zelle. Langsam, ganz langsam erstarkte Abrahams Geist. Er lernte, dem Locken und Rufen des Kelchs zu widerstehen und schließlich ganz zu entsagen.
    Der Augustiner brachte den Kelch dorthin, wo er ihn schon einmal vergraben hatte. »Versink im Boden und bleib auf ewig dort«, verabschiedete er das dämonische Relikt und spuckte darauf. Dann ging er

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