0867 - Die Pesthexe von Wien
hättest dir die Mühe sparen können.«
»Wir diskutieren nicht, Vassago«, erwiderte der Professor scharf. »Du wirst mir helfen, oder ich vernichte dich mit Merlins Stern.«
Der Dämon lachte leise. »Eine leere Drohung, mein Freund. Das weißt du so gut wie ich. Du wirst mich nicht töten, weil du mich später noch einige Male brauchen wirst. Du weißt, dass ich nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft sehen kann.«
»In eine der möglichen Zukünfte. Das heißt noch lange nicht, dass genau diese auch eintreffen wird. Verarsch mich also nicht. Hier sterben Hunderttausende von Menschen. Ich bin zum Äußersten bereit.«
»Es bleibt dabei, Dämonenjäger. Ich helfe dir dieses Mal nicht.«
In diesem Moment begann sich die Wasserfläche zu kräuseln. Ein zweites Gesicht schob sich über das Vassagos, vermischte sich teilweise mit ihm.
Die Maneki Neko!
»Was… wer bist du?«, fauchte Vassago böse. Dann fand irgendeine Art von Kommunikation statt, die sich Zamorra und Nicole entzog. Auf jeden Fall verklärte sich das Gesicht des Dämons plötzlich. Die Katze drehte den Kopf, schaute zu den beiden Franzosen hoch, winkte kurz und verschwand wieder. Vassago nickte hingegen, eine bemerkenswert menschliche Geste.
»Also, Dämonenjäger, pass auf, was ich dir nun zeige.«
»Die Katze hat's tatsächlich geschafft«, kommentierte Nicole verblüfft, als sich die Wasseroberfläche verdunkelte und die ersten Bilder darauf erschienen. »Ich würde zu gerne wissen, was der Mäuseschreck dem Dämon geflüstert hat. Wer oder was beim verdrehten Blinddarmfortsatz der Panzerhornschrexe ist diese Maneki Neko?«
»Stellen wir das erstmal zurück. Da, sieh doch…« Bilder aus tiefster Vergangenheit zogen an den Augen der beiden Betrachter vorbei. Sie sahen das kleine Mädchen Theresia Maria auf dem Schoß ihres Vaters Kaiser Ferdinand sitzen, sie sahen den Kaiser zaubern und die junge Hexe Theresia Maria vor den Thron der Kaiserin Eleonora Gonzaga treten. Sie erlebten Theresia Marias Demütigung mit und die gleich darauf folgende zweite durch einen seltsam aussehenden Dämon. Die Motive der Hexe für die Beschwörung der Pestdämonin Labartu erschlossen sich ihnen, die des Dämons aber nicht vollständig. Sie erlebten die furchtbare Pest der Jahre 1679/80 in Wien mit, den heldenhaften Kampf der beiden Mönche Abraham a Sancta Clara und Franziskus sowie die Vernichtung der Pestdämonin Labartu, die zuvor kreuz und quer durch die Straßen gewandelt war und die verderblichen Nebel ausgelassen hatte. Sie sahen viele weitere Details, die ihnen ein abgerundetes Bild vermittelten. Nun wussten sie plötzlich, wie die Knochen der mit der Kreuzpartikel vernichteten Hexe unter den Stephansdom gekommen waren und welch wundersamen Weg der unheilige Pestkelch nahm. Dessen »Karriere« endete nämlich keineswegs 1680 in einer Höhle im Wienerwald. Drei Jahre später spielte er erneut eine dubiose Rolle.
***
14. Juli bis 13. September 1683, Wien:
Unermüdlich war Abraham a Sancta Clara in der Stadt unterwegs und trieb die Menschen zur Eile an. In ganz Wien wurde fieberhaft gearbeitet, um den Türken, die die Stadt soeben von Süden, Westen und Norden her einschlossen, Paroli zu bieten. »Auf, auf, ihr Christen«, donnerte seine gewaltige Stentorstimme durch die Straßen. »Lasst nicht nach in eurem Tun und streitet wider den mohammedanischen Irrtum und türkischen Erbfeind! Der türkische Säbel ist bereits vor der Tür. Schaut zu, dass er sie nicht durchbrechen kann. Denn wisst ihr, was dann passiert? Das, was auch den Orten Baden, Schwechat, Inzersdorf und anderen widerfuhr. Alle sind sie von der blutdürstigen Tyrannei des Türken niedergebrannt und zerstört worden. In Hainburg starben mehr als achttausend aufrechte Christen unter den Säbeln der Ungläubigen. Arbeitet dafür, dass euch nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt!«
Der Augustiner schaffte es immer wieder, die Menschen mit seinen Reden und Predigten zu beflügeln, das Leuchten in ihre Augen zurückzubringen. Danach arbeiteten sie noch verbissener weiter. Sie führten die Befehle des Grafen Ernst Rüdiger von Starhemberg aus. Nachdem Kaiser Leopold mit seiner Familie vor einigen Tagen überstürzt aus Wien abgereist war, nachdem er die heilige Kreuzpartikel in die Obhut der Kapuziner gegeben hatte, damit sie bei einer Eroberung nicht in die Hände des Feindes fallen konnte, hatte der Feldzeugmeister die Verteidigung der Stadt übernommen. Graf
Weitere Kostenlose Bücher