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0867 - Die Pesthexe von Wien

0867 - Die Pesthexe von Wien

Titel: 0867 - Die Pesthexe von Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Starhemberg, ein ruhiger, intelligenter Mann mit stechendem Blick, hatte befohlen, alle Schindel- und Holzdächer der Stadt abzudecken, die Wasserversorgung sicherzustellen und das Komödienhaus zwischen Burg und Augustinerkloster aufgrund seiner vielen Holzbauten komplett abzutragen. Hunderte von Männern sägten und hämmerten und schleiften das Holz vor die Stadt, wo es für die Errichtung von Palisaden und Schanzen Verwendung fand.
    Ein lautes, ohrenbetäubendes Pfeifen erfüllte plötzlich die Luft. Die Menschen verharrten wie auf Kommando und blickten entsetzt in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Das Krachen fernen Kanonendonners und der Einschlag erster Geschützkugeln in Wiener Häuserwände fielen fast zusammen. Stein spritzte nach allen Seiten weg, Wände wackelten und brachen, Menschen rannten schreiend nach allen Seiten weg. Einige bluteten, von den umherschwirrenden Gesteinssplittern verletzt. Ein kleiner Junge lag auf der Straße und bewegte sich nicht mehr. Abraham ging zu ihm und nahm ihn auf. Vergeblich. Er war bereits tot. »Dreimal gottverfluchtes Türkenpack«, murmelte der Prediger erbittert. »Wir werden euch Heiden allesamt zur Hölle schicken, einen wie den anderen.«
    Er eilte raschen Schrittes zur Burgbastei und stieg hinauf. Auf dem regelmäßigen Viereck mit seinen sechsunddreißig Kartaunen, die soeben ein wahres Gewitter aus vierzig Kilogramm schweren Kugeln gegen die Angreifer schickten, traf Abraham a Sancta Clara inmitten zahlreicher Kanoniere den Grafen Starhemberg. Zusammen starrten sie auf die weite Ebene hinaus. Es wuselte nur so von Soldaten und Reitern.
    »Ich bin beeindruckt«, gestand der Augustiner.
    »Ja«, bestätigte der Oberbefehlshaber und kratzte sich nachdenklich in seinen brustlangen, braunen Locken, die um ein neckisches Halstuch flossen. »Es ist schon ein gewaltiges Heer, das der Großwesir Kara Mustapha da im Auftrag des Sultans Mehmed gegen uns führt. Zuverlässige Quellen sprechen von rund 300 000 Mann, gegen die wir mit elítausend Soldaten und fünftausend Bürgern und Freiwilligen bestehen müssen, bis das Entsatzheer unserer Verbündeten hier eintrifft. Ich habe gehört, dass der polnische König Sobieski es höchstselbst anführen will. Aber das kann viele Wochen dauern. Es wird schwierig.«
    »Ja. Aber mit Gottes Hilfe werden wir den Barbaren dort draußen die Stirn bieten«, schrie der Augustiner zurück, um den Geschützdonner zu übertönen. Es gelang kaum. Draußen in der Ebene schlugen die Kartaunengeschosse zwischen den Türken ein. Dreckfontänen wurden hochgeschleudert, dazwischen einzelne Menschen, Pferde wieherten, stiegen voller Panik und gingen vereinzelt sogar durch. Die angerichtete Verwirrung hielt jedoch nur kurz an. Die Türken begannen, Schanzen und Laufgräben zu bauen, während es in dem bunten Gewimmel immer wieder aufblitzte.
    »Ich kann es am Klang hören«, schrie Graf Starhemberg. »Sie setzen Balyemez- und Kolumbrinegeschütze ein. Auch Sahigeschütze kann ich unterscheiden. Ja, und das da war gerade ein Bombenmörser. Bruder Abraham, wir werden sehr, sehr schwere Tage erleben. Weit in der Unterzahl sind unsere Leute noch immer von den Nachwirkungen des hitzigen Fiebers geschwächt, die selbst nach drei Jahren noch anhalten. Möge Gott mit uns allen sein.« Damit verschwand er von der Bastei, die den linken Flügel der Verteidiger bildete.
    Abraham ging ebenfalls in die Stadt zurück. Er dachte intensiv an den Pestkelch der Labartu. Tatsächlich hatte die leidige Seuche, nachdem er das Relikt endgültig versteckt hatte, im Sommer 1679 einen Höhepunkt erreicht, war dann aber abgeflaut und Anfang 1680 ganz verschwunden.
    Fast unwillig schüttelte er den Gedanken ab. Bruder Franziskus kam ihm in den Sinn. Der war im Sommer 1680 nach Maulbronn zurückgereist und gut dort angekommen. Das belegte eine Postdepesche, die ein Jahr später eingetroffen war. Ach, hätte ich ihn doch immer noch hier bei mir… Abraham vermisste den Freund, der ihm über ein Jahr lang in schweren Zeiten zur besten Stütze geworden war.
    Die nächsten Wochen wurden zur eisernen Nervenprobe für die Verteidiger des »Goldenen Apfels«, wie die Moslems Wien nannten. Wie ein Spinnennetz erstreckten sich die türkischen Laufgräben zwischenzeitlich über die Ebene und reichten zum Teil schon sehr nahe an die Stadtmauern heran. Überall standen Schanzen, die türkischen Geschütze donnerten unablässig bei Tag und bei Nacht. Die Landsknechte auf den

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