0867 - Die Pesthexe von Wien
Stadtmauern wagten kühne Ausfälle und lieferten den Osmanen immer wieder kleinere Scharmützel. Ansonsten warteten sie bang auf die türkischen Mineure. Niemand wusste, wo sie sich unter die Stadtmauern graben würden, um Breschen hineinzusprengen. Der Versuch der Wiener, ihrerseits eine Schanze der Türken zu untergraben und zu sprengen, wurde ein grandioser Fehlschlag. Dann schlugen die erfahrenen türkischen Mineure zu. Nur unter großen Verlusten konnten die Wiener ein Eindringen der Belagerer verhindern. Dafür gingen verschiedene Palisadenstellungen vor der Stadtmauer verloren. Aber die Wiener schlugen zurück. Am 15. August wagten sie einen überraschenden Ausfall und töteten alle Türken, die sich im Festungsgraben direkt vor der Löbelbastei verschanzt hatten. Sie zerstörten Rampen, Stützbalken und Minen und kehrten im Triumphzug auf die Bastei zurück.
»Endlich eine gute Nachricht«, feuerte Abraham die immer mehr verzagenden Wiener an. »Das hat den Türken getroffen. Die Stimmung unter den Osmanen ist jetzt spürbar schlechter. Das spüren unsere Landsknechte bis auf die Basteien herauf.« Unbändiger Zorn auf das ungläubige Pack erfasste ihn, als die Türken am 29. August die Köpfung von Johannes dem Täufer feierten und die christlichen Verteidiger damit verhöhnten. Ein Plan, der schon lange in ihm schwelte, nahm immer konkretere Züge an. Doch noch wollte er sich nicht daran wagen.
Die Schlacht wogte, mit nur wenigen Waffenstillstandspausen und wechselndem Glück, bis zum 7. September hin und her, ohne- dass eine Seite entscheidende Vorteile erringen konnte. Die Zeit aber arbeitete für die Verteidiger, denn Sobieskis Entsatzheer rückte unaufhaltsam näher. Kara Mustapha hatte durch den-Verrat des Kuriers Stefan Seradly davon erfahren und wollte nun das Entsatzheer in eine Falle locken. Gleichzeitig gedachte der Großwesir, mit herbeigerufener Verstärkung einen alles entscheidenden Großangriff auf Wien an einer empfindlichen, aber leider nicht bekannten Stelle durchzuführen. Diese Pläne wiederum gelangten dem gerade von der roten Ruhr genesenen Grafen Starhemberg durch einen eigenen Spion zu Ohren.
»Ich höre das mit Sorge«, gestand der Oberbefehlshaber Abraham a Sancta Clara ein, mit dem er sich in den letzten Tagen immer öfters besprochen hatte. Der Augustiner pflegte genau den gleichen fanatischen Türkenhass wie er selbst und verstand sich durchaus auf die Kunst des Kriegshandwerks. »Wir sind so geschwächt, dass Mustapha mit einem solchen Angriff Erfolg haben könnte, wenn wir nicht wissen, wo er zuschlägt. Mit großer Wahrscheinlichkeit stehen die türkischen Mineure längst unter den Stadtmauern. Ihre Idee, Bruder, Wasserfässer aufzustellen, die selbst auf die kleinste Erderschütterung reagieren, hat sich als wunderbar erwiesen. So konnten wir einige Stollen aufspüren und bekämpfen. Aber das sind mit Sicherheit längst nicht alle. Vielleicht legen sie uns sogar damit herein. Wenn wir nicht schnell herausbekommen, wo die Minen hochgehen, kann uns das tatsächlich den Kopf kosten, bevor Sobieski hier ist.«
Nun hielt Abraham a Sancta Clara die Zeit für gekommen. Er weihte Graf Starhemberg in die furchtbaren Geschehnisse um die Hexe Theresia Maria von Waldstein, die Dämonin Labartu und deren Pestkelch ein und schlug dann vor: »Herr Graf, inszenieren Sie einen Scheinausfall für mich, damit ich die Stadt verlassen und diesen Kelch holen kann. Ich wollte ihn zwar niemals wieder aus der Erde graben. Aber nun sehe ich es als meine heilige Pflicht, die Pest unter das Türkenpack zu streuen, um das Leben vieler Tausender aufrechter Christen zu retten.«
Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg, frommer Christ und Anhänger der Inquisition, bekreuzigte sich. Dann stimmte er zu.
Am 8. September hetzte Starhemberg die Wiener Verteidiger auf den Niederwall, den die Türken kurz zuvor erobert hatten. Das zähe Ringen mit schweren Verlusten auf beiden Seiten dauerte bis in die Nacht hinein. Durch einen Geheimgang, der in der von den Verteidigern selbst abgebrannten Leopoldstadt ins Freie mündete, mischte sich Abraham furchtlos unter die Ungläubigen, von denen er an dieser Stelle tatsächlich nur wenige vorfand. Die Schlacht um den Niederwall war bereits in vollem Gange. Abraham trug die blaue Uniform eines getöteten Janitscharen und konnte sich so in ständiger Lebensgefahr, aber schlussendlich problemlos durch die feindlichen Linien schlagen. Im Lager der anatolischen Reiter,
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