0867 - Die Pesthexe von Wien
Sipahis genannt, stahl er ein Pferd und verschwand damit in der Finsternis. In der Höhle des Wienerwaldes fand er den Pestkelch unverändert vor. Erneut spürte er sein Locken. Unwillig schüttelte er den Kopf. Nein, er besaß nun Stärke genug, um sich dem verderblichen Einfluss widersetzen zu können, er brauchte auch kein schlechtes Gewissen Franziskus' gegenüber zu haben.
Abraham nahm den Kelch an sich und prügelte das Pferd in einem wahren Gewaltritt zurück zum Schlachtfeld. Wiederum nachts mischte er sich erneut unter die Türken.
Überall brannten Feuer. Doch Abraham registrierte mit Befriedigung, dass die Ungläubigen nicht mehr genug zu Essen hatten. Er schlug sich zur Schmelz durch, auf der der Großwesir seine prächtige Zeltburg errichtet hatte. Doch der gegnerische Kommandostand war zu stark gesichert. Er kam nicht hinein. Egal. Der Augustiner ging mit dem Pestkelch die ganze Nacht im Türkenlager hin und her und verteilte die verderblichen Nebel. »Das habt ihr nun davon, dass ihr die Köpfung Johannes des Täufers gefeiert habt«, murmelte er immer wieder vor sich hin und empfand ungeheuren Stolz und tiefe Befriedigung. Abraham a Sancta Clara, die Speerspitze Gottes gegen die Heiden…
Dann kehrte er nach Leopoldstadt zurück. In den abgebrannten Ruinen, in denen sich nun wieder deutlich mehr Türken aufhielten, versteckte er den Kelch und erreichte über den Geheimgang schließlich wieder Wien. Graf Starhemberg empfing ihn umgehend zum Rapport.
»Nun, dann wollen wir den furchtbaren Kelch sein Werk tun lassen und sehen, was passiert«, sagte der Oberbefehlshaber.
Tatsächlich herrschte am 10. September großer Aufruhr im türkischen Lager. Die Verteidiger sahen deutlich, dass die Soldaten in hellen Scharen flohen. Andere schossen hinter ihnen her. Die Fliehenden fielen zu Dutzenden. »Offene Meuterei«, kommentierte Starhemberg zufrieden. »Bruder Abraham, Sie sind Wiens Retter, auch wenn wir das niemandem erzählen dürfen.«
Doch noch hielten genügend Truppen dem Großwesir die Treue, auch wenn nun der geplante Angriff auf die Stadt und der Hinterhalt für das Entsatzheer nicht mehr durchgeführt werden konnten. Am 11. September trafen die alliierten christlichen Truppen vor Wien ein und besetzten das Kahlengebirge. Insgesamt 80 000 Mann aus Venedig, Bayern, Sachsen und Polen hatten leichtes Spiel mit den verstörten Türken, dir die sich rasch ausbreitende Pest in den eigenen Reihen in helle Panik versetzte. Schon der Generalangriff der »Hussaria«, der schweren polnischen Reiterei, sprengte die osmanischen Reihen und zerstreute die Soldaten in alle Winde. Sie flüchteten überstürzt und sammelten sich erst bei Györ wieder.
Am 13. September ritt der siegreiche polnische König Jan Sobieski mit der eroberten grünen Fahne des Propheten Mohammed in Wien ein, während seine Soldaten das Türkenlager plünderten. Als sie die ersten Pesttoten sahen, brach ebenfalls Panik aus. Auch christliche Soldaten raffte die Seuche in den nächsten Tagen dahin, aber Abraham a Sancta Claras Mitleid hielt sich in Grenzen. Verluste gab es immer, die Unglücklichen würden zum Ausgleich direkt in den Himmel auffahren. Wichtig erschien ihm nur, dass die Türken für ihre Freveleien an Johannes büßten. Das war auch in Franziskus' Sinne.
Da Labartus Pestkelch seine verderbliche Wirkung lediglich kurz entfalten konnte, fielen nur wenige hundert Soldaten auf beiden Seiten der magisch ausgerichteten Pest zum Opfer. Zu wenig, um drei Jahre nach der großen Pestkatastrophe von Wien Erwähnung in der Geschichtsschreibung zu finden.
***
18. September 1683, Hofburg Wien:
Abraham a Sancta Clara eilte durch die Hofburg. Kaiser Leopold I., wieder aus dem Exil zurück, hatte ihn zu sich rufen lassen. Der Augustiner war gespannt, was der Regent von ihm wollte. Er konnte es sich nicht vorstellen.
Leopold empfing den Mönch in seinen Privatgemächern. Der Habsburger, in rot violetten Pomp gekleidet, ging mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor der großen Fensterfront auf und ab. Mit einer Reitgerte peitschte er sich immer wieder gegen den Oberschenkel, ein Zeichen großer Erregung.
Der Kaiser drehte sich abrupt zu Abraham um, als der eintrat. Das überaus hässliche Gesicht ñiit dem weit vorgeschobenen Kinn und der Knollennase wurde von einer langen, schwarzen Lockenperücke umrahmt und von einem Musketierbärtchen nur unwesentlich geschönt.
»Ah, Abraham, Wir haben euch bereits erwartet. Nehmt bitte
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