0868 - Die Toten-Krypta
habe dir gesagt, daß ich dir helfen möchte. Du mußt versuchen, sie zu vergessen. Sie meint es nicht gut mit dir. Sie meint es nur gut mit sich selbst, denn sie sucht einen Ausweg aus ihrem eigenen Dilemma.«
»Ich verstehe.«
»In dieser Nacht muß es sich entscheiden, Emily. Es gibt keinen anderen Weg.«
»In dieser Nacht?«
»Ja.«
»Mit dir?«
»Auch.«
»Wirklich?«
»Du kannst dich auf mich verlassen!« versprach Zebulon. »Ich werde an deiner Seite bleiben.«
»Hier im Zimmer? Dann habe ich auch keine Angst mehr vor den anderen, glaub mir.«
»Nein, Emily, das wird sich leider nicht einrichten lassen. Nicht hier im Zimmer. Wir müssen weg. Hier ist die Welt zu klein für uns beide geworden.«
»Aber wo sollen wir hin?«
»Dort, wo wir sie finden. Ich habe dir schon einmal von der Krypta erzählt.«
»Von diesem Grab?« In ihrer Stimme schwang die Panik mit. »Wo es so schrecklich dunkel ist?«
»Keine Sorge, denn ich bin bei dir.«
»Aber es bleibt dunkel.«
»Der Mond wird scheinen.«
»Dann wird sie erwachen.«
»Damit müssen wir rechnen.«
»Willst du das denn?«
»Ja, ich will, daß La Luna erwacht. Ich möchte mich ihr stellen und sie etwas fragen.«
»Was denn?«
»Das wirst du hören, wenn wir dort sind.«
Eine Schweigepause entstand. Dann fragte das Mädchen flüsternd, um sich noch einmal zu vergewissern: »Du wirst tatsächlich bei mir bleiben und mich beschützen?«
»Ich verspreche es dir.«
»Aber was ist mit den anderen?«
»Sie gehen uns nichts an.«
»Du mußt sie vernichten.«
Zebulon lachte leise. Dann fragte er: »Versprichst du mir, daß du hier sitzen bleibst, während ich für einen Moment hinausgehe.«
»Nein, laß mich nicht allein. Bitte nicht, ich habe Angst.«
»Die brauchst du nicht zu haben. Ich werde nicht weggehen. Ich bleibe in deiner Nähe.«
»Du willst zu den anderen - nicht?«
»Ich spreche mit ihnen. Und ich glaube, daß du dich vor ihnen nicht zu fürchten brauchst.«
Die ruhige Stimme und die beruhigenden Worte des Schattenkämpfers waren bei Emily nicht wirkungslos geblieben. Wir hörten keinen Protest, als sich Zebulon von seinem Platz erhob, auf die Tür zuging und sofort danach bei uns war.
»Ihr habt alles gehört?« fragte er uns.
Wir nickten synchron.
Der Schattenkrieger gestattete sich ein Lächeln. »Es ist nicht einfach für mich gewesen, Emily in die richtige Spur zu bringen, aber ich habe es geschafft, und ich hoffe, daß wir uns auch weiterhin in dieser Spur bewegen können.«
»Sie führt in eine Krypta?« fragte Shao.
»Ja.«
»Wo finden wir sie?«
»Nicht weit von hier. Da gibt es einen winzigen Ort. Er heißt einfach nur La Ville. Er war einmal eine Künstlerkolonie. Da haben sich Maler und Bildhauer zusammengefunden, um in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen zu können und um preiswert zu leben. Das aber ist längst Vergangenheit. Die Künstler haben das Dorf verlassen, die Häuser stehen leer.«
»Gab es dafür einen besonderen Grund?« wollte Suko wissen.
»Ich kenne ihn nicht. Es kann sein, daß es nicht mehr im Trend lag, auf dem Lande zu leben. Jedenfalls haben sich die Künstler in alle Winde verstreut. Die Häuser stehen leer und verfallen. Allerdings hörte ich, daß die Häuser hin und wieder Jungen und Mädchen als Spielplatz dienen, außerdem Wandergruppen als Schutz. Im Prinzip ist dieser Ort jedoch verlassen.«
»Bis auf die Krypta«, warf ich ein.
»Genau.«
»Wieso eine Krypta?«
Zebulon gestattete sich ein Lächeln. »Auch das ist eine Geschichte für sich. Es gab eine Malerin unter den Künstlern, die hat sich die Krypta errichten lassen.«
»La Luna!«
»So hieß sie, John.«
»Ein Künstlername?«
»Richtig. Sie bezeichnete sich als eine Mondgöttin. Sie war immer davon überzeugt, daß die Kraft des Mondes die Verantwortung für sie übernommen hatte. Der Mond war es, der sie zu großen Leistungen anspornte.«
»Aber sie ist kein Vampir?« fragte Suko.
»Nein, das nicht.«
»Starb sie denn?«
»Ja, sie war ein Mensch.«
»Und sie wurde in der Krypta beigesetzt?« Der Inspektor ließ nicht locker.
»Was heißt beigesetzt? Man hat sie dort hingestellt.«
»Eine Leiche?«
Zebulon wiegte den Kopf. »Wir müssen davon ausgehen, daß sie nicht eine Leiche ist, wie wir sie kennen. In einem Testament hat sie zuvor bestimmt, was mit ihr nach ihrem Tod geschehen sollte. Sie wurde einbalsamiert mit Mondstaub. Aus ihm wurde eine Paste hergestellt, die ihren gesamten Körper bedeckte. Es war so
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