0868 - Die Toten-Krypta
Scheinwerfer. Der Weg kam uns vor, als würde er direkt in den Wald hinein und dann hindurchführen, das aber tat er nicht, denn er knickte relativ scharf zur linken Seite hin ab und führte am Waldrand entlang weiter, wobei das Unterholz sich hervorgeschoben hatte und es uns manchmal vorkam, als würden irgendwelche Hände an der Karosserie entlangschaben.
Es änderte sich.
»Wer sagt's denn?« brummte Suko, als wir freie Sicht hatten und ich das Fernlicht einschaltete.
Gleichzeitig verminderte ich das Tempo, wir rollten dem Ziel langsamer entgegen, um einen ersten Eindruck von ihm zu bekommen.
La Ville war eine Kulisse. Eine leere Kulisse, die durch das bläulichweiße Fernlicht wie auf einer Bühne stehend wirkte.
Vergleiche schossen mir durch den Kopf. Wir hatten die normale Welt verlassen und rollten nun hinein in eine fremde, in eine gleichzeitig auch leere, denn von den wenigen Häusern, in denen sich einmal die Künstler aufgehalten hatten, strömte nichts ab.
Es gab kein Leben.
Wir sahen keine Menschen, keine Tiere. Jetzt fehlten selbst die Hasen von vorhin.
Eine richtige Straße hatte es auch nicht gegeben, nur ein Weg, der zwischen den Häusern vorbeiführte. Er war nicht asphaltiert worden, nur festgestampft, und so hatten sich im Laufe der Zeit Unkraut, Gräser und wilde Blumen ausbreiten können, die den Weg bedeckten wie ein natürliches Muster.
»Die Krypta sehe ich nicht«, sagte Shao, als wir soeben die ersten beiden Häuser passiert hatten. Sie standen sich gegenüber, allerdings nicht normal mit den Fronten zueinander, sondern schräg, und sie waren sehr verwinkelt gebaut worden, als hätte sich der Architekt nicht entscheiden können, ob er nun ein Haus baute oder einen kleinen Turm.
Ich trat auf die Bremse. Der Wagen stand und wippte leicht nach, dann schaltete ich den Motor aus und zog den Zündschlüssel. Als mein Sicherheitsgurt an mir hochrutschte, gab ich Shao auch eine Antwort. »Ich denke, daß diese Gruft versteckt ist.«
Suko war schon ausgestiegen. »Laßt uns den Ort erst einmal durchsuchen, dann sehen wir weiter.«
Zunächst schauten wir zum Mond hoch. Es war wie ein Zwang, und man konnte ihn auch nicht übersehen, denn er stand als gelber Kreis direkt über der verlassenen Künstlersiedlung und glotzte herab wie ein riesiges Himmelsmonster, das nur mit einem Auge ausgestattet war.
Sein Licht war kalt, es war ideal für Vampire und andere Geschöpfe der Nacht. Mich hätte es nicht gewundert, hätte ich plötzlich das Heulen eines in der Verwandlung steckenden Werwolfs erlebt.
Eine tote Kolonie, feindlich im Mondlicht liegend. Fassaden, die an einige Stellen silbrig wie Fischhaut schimmerten, wenn das Licht sie streichelte. Fensterscheiben, die nur teilweise noch erhalten waren. Es gab keine Bäume zwischen den Häusern, obwohl die Lücken groß genug waren. In ihnen hatte sich das Unkraut ausbreiten können.
Wir standen in der Dunkelheit vor dem Auto wie Schauspieler, die auf das Kommando ihres Regisseurs warteten, um sich endlich bewegen zu können.
Niemand sagte uns etwas, wir gingen von allein weiter, denn unser Ziel war noch immer die Krypta.
Wo war sie gebaut worden?
Nichts war zu sehen. Die relativ hohen Häuser deckten jedes andere Gebäude ab. Ich dachte auch daran, daß eine Krypta eine Grabstätte war, die in der Erde lag. Das schien hier nicht so zu sein, zumindest hatte Zebulon nichts davon berichtet. Vielleicht war der Name Krypta auch falsch. Da wäre Gruft oder kleines Mausoleum möglicherweise passender gewesen.
Wie dem auch war, wir würden hier die Entscheidung finden.
Ich schaute Suko an. Sein Gesicht schimmerte in der Dunkelheit ebenso wie das meine. »Ist der Ort hier leer? Was sagst du?«
»Ich habe zumindest niemanden gesehen.«
»Was ist mit Zebulon und Emily?« erkundigte sich Shao. »Kann ja sein, daß sie schon hier sind und auf uns warten. Sollten wir sie nicht eventuell rufen?«
»Nein.« Ich war dagegen. »Laß uns erst die Krypta finden. Danach werden wir weitersehen.« Ich konnte mir gut vorstellen, daß sich die La Luna ihre Grabstätte nicht unbedingt in die Mitte dieser Kolonie gesetzt hatte, sondern etwas außerhalb. Bei der Einfahrt hatten wir ein derartiges, grabähnliches Gebäude nicht gesehen, deshalb konnte es seinen Platz durchaus am anderen Ende gefunden haben.
Unsere Tritte waren die einzigen Geräusche. Es gab keinen Wind, der in unsere Gesichter wehte oder mit losen Dachpfannen gespielt hätte. Zwar hatten wir uns
Weitere Kostenlose Bücher