0868 - Die Toten-Krypta
etwas Ähnliches wie eine Hexensalbe. Nachdem diese Arbeit abgeschlossen war, wurde sie in die Krypta geschafft und auf einen Sockel gestellt. Man gab ihr einen Mantel mit und einen Degen, denn in ihrem Leben ist sie oft durch die Nacht geritten, nur mit dem roten Mantel bekleidet und mit dem Degen bewaffnet. Sie hat auch gesagt, daß sie nicht so tot sein wird wie die anderen, denn immer wenn der Vollmond durch eine Öffnung im Dach der Krypta in dieses Grab hineinscheint, nimmt sie die Kraft auf. Dann trinkt sie das Licht, und dieses Mondlicht ist in der Lage, sich mit ihrem Geist zu verbinden. Ich weiß selbst, daß es sich für euch ungewöhnlich anhört, aber wir müssen davon ausgehen, daß dem so ist. Der Körper bleibt, der Geist aber, durch das Mondlicht gelöst, begibt sich auf Wanderschaft.«
»Und den hast du getroffen?« fragte Shao.
»Ja, als Zebulon, als Schattenkrieger. Wir trafen uns im Nirgendwo, und ich erfuhr ihre Geschichte, die ich euch heute erzählt habe.«
»Was aber hat Emily damit zu tun?«
Zebulon hob die Schultern. »Emily ist für La Lunas Geist so etwas wie ein Stützpunkt geworden. Sie ist ungemein wichtig, sie hat jemand gesucht, und sie geriet an Emily, deren Geist zwar nicht gerade verwirrt ist, die aber unter starken Verhaltensstörungen gelitten hat. Sie tötete damals ihre Eltern, man schickte sie in die Klinik zur Rehabilitation, und sie wäre vielleicht irgendwann einmal entlassen worden. Psychisch war sie schwach, was der Geist dieser La Luna bemerkte und für sich ausnutzte. Ich will nicht behaupten, daß La Luna in Emily eine Wiedergeburt erfahren hat, aber sehr weit ist es nicht davon entfernt. Beide bilden bei Vollmond eine Einheit, dann gehen die künstlerischen Talente auf Emily über, die sowieso schon früher gut malen konnte. Jetzt ist sie perfekt geworden, so perfekt wie es La Luna einmal war. Das ist praktisch die ganze Geschichte, aber ich warne euch auch vor ihr.«
»Nicht vor Emily?« fragte ich.
»Warum?«
»Na ja, weil ich nach den Worten das Empfinden habe, daß sich La Lunas Kraft nicht nur in Emily festgesetzt, sondern sich noch verstärkt hat.«
»Das ist durchaus möglich. Gehen wir davon aus, es hier mit einem magischen Phänomen der ersten Güte zu tun zu haben. Es wird nicht einfach für uns sein, die Verbindung zwischen den beiden zu knacken. Ich habe es bisher nicht geschafft.«
»Dann hast du keinen direkten Kontakt mit La Luna gehabt?« fragte Shao.
»Bisher nur mit Emily. Mit der Mondgöttin allerdings auf einer anderen Ebene.«
»Du wirst uns erklären, wo wir hinmüssen«, sagte ich.
»Natürlich. Es ist zudem nicht sehr weit.«
»Und da werden wir dich und Emily treffen?«
Zebulon nickte.
»Wir werden in die Krypta hineingehen.«
»Das ist wichtig.«
»Und wir werden versuchen, die Mondgöttin zu zerstören.«
»Auch das.«
»Was aber geschieht dann mit Emily?«
»Das weiß ich nicht«, erklärte Zebulon. »Ich hoffe, daß ich sie beschützen kann.«
Aus dem Zimmer hörten wir die Stimme des Mädchens. »Kommst du bald, Zebulon?«
»Keine Sorge, ich bin gleich bei dir.«
»Die genaue Wegbeschreibung, bitte.« Shao erinnerte den Freund daran.
Wir bekamen sie.
Es war wirklich nicht weit. Knappe zehn Kilometer tiefer in das Land hinein.
»Wir werden uns dann dort sehen«, sagte Zebulon. Er schaute uns dabei ernst an. »Hoffen wir, daß alles gutgeht.«
Ich lächelte. »Irgendwie packen wir das schon.«
Die Antwort hatte Zebulon nicht mehr verstanden. Da war er bereits in Emilys Zimmer verschwunden…
***
Ein Ort der Ruhe, der absoluten Stille, durchweht vom Hauch des Todes und des Vergänglichen.
Die Krypta eben!
Sie war aus dunkelroten Ziegelsteinen errichtet worden und hatte die Form eines Pavillons mit einem spitz zulaufenden Kuppeldach als Abdeckung. Es gab keinen Vorraum. Wer die Tür öffnete, befand sich sofort im Zentrum der Krypta und konnte die wenigen Schritte bis zum eigentlichen Ziel vorgehen; wo auch der flache Sockel seinen Platz gefunden hatte, auf dem sie stand.
Eine steinerne Schönheit mit dem Namen La Luna. In der Dunkelheit der Gruft glänzte sie wie Alabaster. Ihr völlig nackter Körper schien sich der Finsternis entgegenstemmen zu wollen und zugleich nach dem Licht zu schnappen, denn der Kopf dieser Gestalt war nach hinten gelegt, so daß sie mit ihren Totenaugen gegen die Decke der Gruft schauen konnte.
Und genau dort, wo die verschiedenen Seiten des kleinen Turms zusammenliefen, befand
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