0869 - Leichengift
großen Schaden anrichten können.«
Valdez blickte seine Frau starr an. »Ist das nicht schon längst geschehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber ich glaube daran. Wenn sie sich befreit haben und durch die Nacht laufen, dann müssen ihnen einfach Menschen begegnet sein. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Für dich nicht, Rico.«
»Für dich etwa?«
Zita drehte ihre Hände. »Ja, es könnte sein, daß die beiden verunsichert sind. Denk daran, in welche Welt sie hineingelangen. Sie kommen aus ihren Höhlen, in denen sie so lange gelegen haben, und jetzt erreichen sie eine Umgebung, die fremd für sie ist.«
Er winkte ab. »Fremd hin, fremd her. Menschen gab es bei ihrem Tod, und Menschen gibt es immer noch. Beide werden über sie herfallen, und wir tragen die Schuld daran.«
»Nicht wir, es sind die Ketten.«
»Ja, verflucht, du hast ja recht. Aber waren wir uns beide nicht einig, sie auszuprobieren? Wir wollten doch immer das Besondere haben. Wir sind weggekommen von den alten Riten, wir wollten unseren Landsleuten neue Wege bei den Beerdigungen ihrer Angehörigen bieten. Gut, das haben wir geschafft, doch um welchen Preis?«
Zita war stärker und härter als ihr Mann. Sie mochte seine schon weinerliche Aufgabe nicht, und schaute ihm dementsprechend hart in die Augen. »Jetzt hör endlich auf mit dem Gejammere, Rico. Es ist etwas passiert, und wir werden uns dieser Tatsache stellen müssen.«
»Stimmt«, sagte Rico leise. »Wir könnten auch zur Polizei gehen.«
Zita erstarrte nach diesem Vorschlag. Sie konnte ihm kaum glauben und fragte: »Wie bitte?«
»Zur Polizei.«
»Du bist verrückt.«
»Warum? Wir haben Mist gebaut. Die Polizei kann uns helfen. Sie soll eine Großfahndung einleiten. Du weißt selbst, wie die beiden aussehen, und damit werden sie überall auffallen, egal, wo sie sich bewegen. Die Polizei ist unsere einzige Chance.«
»Okay«, stimmte Zita hart lachend zu. »Darf ich dich dann fragen, was du den Bullen sagen willst?«
»Die Wahrheit. Keine Lüge und auch keine Ausrede. Einfach nur die Wahrheit.«
Zita Valdez hatte zugehört und eine Haltung dabei angenommen, die an eine übergroße Porzellanpuppe erinnerte. Ihr Mund stand offen, die Augen hatte sie zu Schlitzen verengt, und erst als ihr Mann nichts mehr sagte, kam wieder Bewegung in sie. »Und du glaubst tatsächlich, daß man uns bei der Polizei glauben wird.«
»Das muß man einfach. Es bleibt den Leuten nichts anderes übrig, denke ich mal.«
»Da denkst du falsch, lieber Gatte. Wenn die Bullen hören, was da passiert ist, wird man uns festsetzen. Aus dem Verkehr ziehen, hinter Gitter klemmen, wie auch immer. Vielleicht würde man uns nach zwei Tagen wieder laufenlassen, das aber würde uns nichts bringen. Dann wäre es zu spät, dann hätten Jim und Paul bereits zugeschlagen und ihre Spuren hinterlassen, und man würde uns, da man ja Bescheid weiß, wieder in die Zellen zurückstecken, um uns wegen Beihilfe vor Gericht zu stellen. Hast du dir das schon alles durch den Kopf gehen lassen?«
»Nein.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Sonst hättest du nämlich nicht einen derartigen Schwachsinn geredet.«
Rico Valdez ließ sich Zeit. Schließlich bewegte er seine Hände und ballte sie zu Fäusten. »Da du so gut informiert bist und alles im voraus weißt, kannst du mir sicherlich sagen, was wir nun unternehmen sollen.«
»Das kann ich dir auch sagen. Gar nichts.«
»Wie?«
»Hast du nicht zugehört? Wir lassen alles so laufen.«
»Und wenn es Tote gibt?«
»Es würde mich nicht stören. Wir sind ein Risiko eingegangen. Mit den Mächten der Finsternis ist nicht so leicht zu spielen. Man kann sie nicht so kneten oder sie so zurechtbiegen, wie man es gern haben will. Das alles geht nicht. Sie haben ihren eigenen Willen, und deshalb werden wir sie lassen. Man wird irgendwann auf die beiden stoßen. Man wird sie möglicherweise auch vernichten, aber ich frage dich, Rico, was weist denn überhaupt auf uns hin? Nichts. Sie können zerstört werden, man wird froh sein, wenn es sie nicht mehr gibt, aber eine Spur, die zu uns führen könnte, ist nicht vorhanden.«
Rico Valdez hatte sehr genau zugehört. Einer Antwort enthielt er sich, dafür schaute er auf die Tischplatte und hob die Schultern.
»Es ist so am besten, Rico.«
»Keine Ahnung.«
»Doch!«
Er stand auf. Mit wenigen Schritten hatte er die Bar erreicht. Er brauchte jetzt einen Drink, um das aufgewühlte Innere wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Hastig
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