0869 - Leichengift
Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Bisher hatte er die Panik und die Aussagen der Menschen nicht für bare Münze genommen, er war eigentlich nur widerwillig erschienen, nun aber wurde er mit einer Tatsache konfrontiert, die ihn überforderte. Schon beim ersten Hinsehen wußte er, daß diese Person sich nicht verkleidet hatte. Sie war echt. Er sah das fast völlig zerstörte Gesicht, das nicht mehr viel Menschliches aufwies, und er dachte an eine Verbrennung, deren Folgen den Mann hatten durchdrehen lassen.
Ein armer Kerl?
Der Bobby hatte so seine Zweifel. Er gehörte zu denen, die mit Waffen ausgerüstet waren. Man hatte einfach in London so reagieren müssen, denn waffenlose Polizisten brachten nichts mehr in einer Stadt, wo die Gewalt auf dem Vormarsch war.
Little fixierte den Mann. Er ging auf ihn zu.
Er wollte sein Fleisch, er wollte den Tod, er wollte in das rosig wirkende Gesicht beißen, er wollte das Blut sehen, und es störte ihn auch nicht, daß der Bobby seine Waffe zog. Das geschah zum erstenmal im Dienst, entsprechend nervös war der Mann, der Jerome Archer hieß. Er ärgerte sich darüber, wie sehr seine Hände zitterten, und auch die Stimme klang nicht eben sicher.
»Bleiben… bleiben Sie stehen, verdammt! Keinen Schritt mehr weiter! Sie sollen stehenbleiben!«
Little hörte die Worte zwar, doch er dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten.
Er ging weiter.
Die Distanz zwischen beiden verringerte sich rasch, und Archer wußte plötzlich nicht mehr, was er noch tun sollte. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Man hatte ihn ausgebildet, sie waren trainiert worden, besonders im Umgang mit der Waffe, es gab da genaue Regeln, aber nicht bei einem Monster wie diesem.
Er schoß.
Und die Kugel traf.
Die anderen Menschen waren noch über den Knall erschreckt, als die Kugel hoch in den rechten Oberschenkel des Monstrums eindrang. Little knickte aus der Vorwärtsbewegung heraus ein, und der Bobby dachte sofort daran, daß es ein Beinschuß gewesen war.
Herrgott, ein Beinschuß! Zum Glück. Er hatte dort getroffen, wo es ihnen beigebracht worden war.
Ein Beinschuß!
Der andere fiel zur Seite.
Die Spannung löste sich bei Archer. Er war jetzt sicherer geworden, als er die Distanz zu dem Verletzten überwinden wollte.
Das Monster hockte am Boden. Das verletzte Bein ausgestreckt, das andere unter dem Oberkörper angewinkelt, aber er machte keinen so erschöpften und ausgelaugten Eindruck, wie es eigentlich hätte der Fall sein müssen. Das irritierte Archer.
Er stoppte.
Little hob den Kopf. Er wollte sein Opfer anschauen, denn für ihn war es noch immer ein Opfer.
Er grinste Archer an.
Der bekam die Angst wie einen Stromstoß zu spüren. Und das, obwohl er noch die Waffe trug und damit auf den Verletzten zielte.
Little schüttelte den Kopf.
»Was willst du?« keuchte Archer, der nicht mehr an sich halten konnte und einfach reden mußte.
»Los, was ist mit dir? Wer bist du? Ich habe dich erwischt. Wo ist das Blut?«
Little grinste weiter.
Archer geriet immer stärker in eine innere Bedrängnis. Er wußte nicht, wie er sich daraus befreien sollte, deshalb auch sein Zögern. Es wurde ihm schließlich zum Verhängnis, denn jemand wie Little wartete nicht, der wollte die Vernichtung, und er griff zu.
Verletzt oder nicht, er bewegte sich wie immer. Flach schnellte er über den Boden hinweg, und es gelang ihm, die Beine des Bobbies zu umklammern. Der Griff war wie eine Stahlklammer. Eisern hielt er fest. Er riß den Polizisten einfach von den Beinen.
Archer schrie zuerst, dann fiel er hin. Schlug hart auf und wußte trotz der Schmerzen, die durch seinen Kopf zuckten, daß er verloren war, wenn er jetzt das Bewußtsein verlor.
Er kämpfte dagegen an.
Er wälzte sich herum und hob auch mit letzter Kraft den rechten Arm. Die Pistole hielt er noch fest.
Die Mündung schwankte, als sie sich ein Ziel suchte, das plötzlich im Blickfeld des Polizisten auftauchte. Der Kopf des Monstermannes und die obere Hälfte des Oberkörpers.
Jerome Archer schoß.
Zweimal, dreimal.
Die Kugeln hieben in den Oberkörper. Sie hätten dieses Unding von Mensch zerreißen und zerstören müssen, was nicht der Fall war. Dafür schwankte die Kette vor Archers Augen, und ein brettharter Schlag erwischte sein rechtes Handgelenk.
Er konnte die Waffe nicht mehr halten. Sie wurde ihm aus den Finger geschleudert, landete irgendwo, was Archer nicht mehr sah, denn das Monstrum war plötzlich
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