0869 - Leichengift
bösartige Bestie, die zwar brüllte, aber nicht erledigt war.
Ich schoß noch einmal.
Diesmal erwischte ich die Brust.
Unter dem Wagen zuckte die Gestalt. Sie streckte die Beine aus. Zwei Hacken hämmerten auf Bahnschwellen. Der Kopf schnellte hoch, zuckte wieder zurück. Zuerst war er gegen eine Achse geschlagen, dann auf der Bahnschwelle gelandet. Ich hatte die beiden Laute mitbekommen, aber dieser Unhold war nicht vernichtet. Er hatte es geschafft, dem geweihten Silber zu widerstehen.
»Laß es, John!«
Während Suko das rief, schob er sich schlangengleich unter den Wagen, und er hielt dabei seine Dämonenpeitsche mit der rechten Hand fest. Er wollte die Konfrontation, er wollte den Sieg, aber das wollte auch der andere. So gut es ging, drückte er sich hoch und drängte sich auch zur Seite, um Suko packen zu können.
Weit konnte mein Freund nicht ausholen. Er mußte schon aus dem Handgelenk schlagen, doch darin hatte er Routine. Eine knappe Bewegung nur, die Riemen wischten auf die Gestalt zu, und sie breiteten sich dabei zu einem Fächer aus.
Treffer!
Sie umwickelten die Gestalt, als sollte für einen Moment ein Paket verschnürt werden.
Wieder zuckte der Unhold hoch.
Diesmal aus anderen Gründen, denn dieses Zucken deutete bereits sein Ende an.
Er hielt den Mund weit auf. Ein Röhren hallte unter dem Wagen her. Ein Geräusch, das mir schon Furcht einjagen konnte. Es waren die Todesschreie des anderen.
Als Suko die drei Riemen der Peitsche mit einer Gegenbewegung löste, da tanzten auch Hautstücke mit, denn die Peitsche hatte sich tief in den Körper eingegraben.
Er kam nicht mehr weg.
Starr blieb er liegen. Diesmal war er endgültig vernichtet worden. Mit seinen letzten Bewegungen hatte er sich nach links gerollt und glotzte mich an. Dabei sah ich, wie ein Auge auslief…
***
Gemeinsam hatten Suko und ich den nun endgültig Toten unter dem Wagen hervor ins Freie gerollt.
Wir waren aufgestanden, er lag jetzt vor uns, und wir schauten auf ihn nieder.
Ein Rest, nicht mehr und nicht weniger.
Die Riemen der Peitsche hatten sich tief eingegraben und breite Furchen hinterlassen. Es war kein Blut zu sehen, obwohl es in den Wunden feucht schimmerte. Das war eine andere Flüssigkeit, mehr eine gallertähnliche Masse, die wir auch gar nicht berührt hatten. Statt dessen schauten wir uns die Kette im Licht der beiden Lampen an und bekamen mit, daß sich auch bei ihr etwas getan hatte.
Durch die Kraft der Dämonenpeitsche waren auch die klobigen Gegenstände, die man selbst mit einem weitgefaßten Begriff nicht gerade als Perlen bezeichnen konnte, zerstört worden. An einem alten ledrigen Band hingen nur mehr Fragmente, die wir genauer unter die Lupe nahmen.
Ein Vergleich mit löchrigen Käsestücken war unangebracht, aber irgendwo traf es zu. Was da am Leder hing, waren verschrumpelte Klumpen und Knoten, auch vergleichbar mit kleinen Schwämmen, die aus einem großen hervorgerissen worden waren.
»Das ist die Lösung!« flüsterte ich Suko zu. »Die Kette, die verfluchte Kette.«
»Und wo liegt das Motiv?«
»Keine Ahnung.«
»Man sollte sie untersuchen lassen.«
»Das werden wir auch in die Wege leiten, darauf kannst du dich verlassen.« Ich streckte meine linke Hand aus, um einen Rest zwischen Daumen und Zeigefinger zu bekommen. Durch Tasten oder Fühlen konnte man schon mehr herausbekommen.
Zuerst hatte ich den Eindruck, tatsächlich weiches und gleichzeitig sprödes Leder zwischen den Fingern zu spüren. Ich drückte zu, es zerbröselte unter dem Druck, und Krümel regneten auf das schmutzige Hemd.
»Nichts, Suko.«
»Das dachte ich mir. Laß sie ganz, John, ich sorge dafür, daß die Kollegen hier erscheinen.«
»Okay.«
Suko stand auf und entfernte sich. Ich schaute ihm nach. Simon Rapp sprach ihn an. Mein Freund blieb für einen Moment stehen und erklärte dem Bahnbeamten etwas, das ich nicht verstand. Wahrscheinlich beruhigte er ihn auch, was gut war.
Als er weitergegangen war, kam Simon Rapp mit zögerlichen Schritten auf mich zu. Wie jemand, der nicht wußte, ob er nun an sein Ziel herangehen sollte oder nicht.
Ich war inzwischen aufgestanden und erwartete ihn. Mit hängenden Armen blieb er vor mir stehen, schaute aber nicht mich an, sondern drehte leicht den Kopf und schielte nach unten.
»Das ist der Killer gewesen«, sagte ich. »Sie haben in allem recht gehabt, Mr. Rapp.«
»Ja, leider.« Er schüttelte sich, bevor er eine Frage stellte. »Ist das noch ein Mensch
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