0870 - Tabitas Trauerhalle
paradoxe Logik, die sie allerdings hinnehmen wollte und auch mußte. Jedes Opfer war ein weiterer Schritt in die korrekte Richtung, und irgendwann würde sie dann auch an ihr Ziel gelangen, das stand für sie fest.
ER kroch herbei!
ER war ein Etwas. Eine amorphe Gestalt, eine dunkle Wolke gewesen, doch das hatte sich in der letzten Zeit geändert. Dieses Etwas hatte eine Gestalt bekommen, es war in gewisser Hinsicht aufgeblüht, auch wenn seine Schwärze weiterhin vorhanden war, doch den Umrissen nach durfte es beinahe als menschlicher Körper angesehen werden.
ER war lautlos. ER hatte sich aufgerichtet und bewegte sich trotzdem über den Boden.
Tabita schaute zu.
Streckte ER die Arme aus? Waren es Hände, die nach der Leiche griffen und sie für sich einnahmen?
Sie wußte es nicht. Die Faszination hielt sie in ihren Krallen. Tabitas Denken war ausgeschaltet worden. Sie kam sich vor, als hätte sie jemand aus der normalen Welt zurückgezogen und sie in ein Zwischenreich gestellt, von dem aus sie zwei Welten unter Kontrolle halten konnte. Irgendwo war es verrückt, für sie aber auf eine gewisse Weise logisch.
ER griff nach der Toten!
Plötzlich schwebte der Körper hoch. Er schien aus einem großen Stück Eisen zu bestehen, über dem ein unsichtbarer Magnet hing, dessen Kräfte mit der Leiche spielten.
Der starre Körper glitt höher.
Und er verschwand.
Er stieß hinein in IHN. Er löste sich dabei auf. ER und der Körper verschmolzen zu einer Einheit.
Aus zwei Dingen war eins geworden, und ER hatte seine Leute bekommen, seine Nahrung, die er brauchte, um existieren zu können Tabitas Trauerhalle war zu einer gewaltigen Gruft geworden. Erhellt durch das Licht der Kerzen, deren Flammen sich plötzlich bewegten, als wären Geisterhände über sie hinweggestrichen. Es entstand ein anderes Bild. Schatten und Licht wanderten über den Boden, bildeten geisterhafte Puzzle, die nie lange blieben, sondern sehr schnell zerrissen wurden.
Tabita hatte sich der neuen und fremden Atmosphäre hingegeben. Sie saugte sie ein wie ein Elixier, und sie pumpte ihren Körper ebenso damit auf wie ihre Seele.
Es war alles wo wunderbar geworden für sie…
Schweben.
Schweben wie ER!
Immer stärker überkam sie der Wunsch, und sie hatte auch den Eindruck, es zu können.
Abheben, die irdischen Dimensionen verlassen, wie ein Scout durch das Jenseits streifen.
Gedanken und Wünsche irrlichterten durch ihr Gehirn, und sie freute sich, daß es so intensiv geworden war, um den richtigen Weg in die andere Welt zu finden.
Sie hatte vieles getan, aber nichts war richtig gewesen. Bei den Hexenzirkeln hatte sie keinen Erfolg erringen können. Als Mitglied gewisser Geheimbünde war ihr der Sieg nicht vergönnt gewesen, doch nun war alles anders.
So wunderbar…
Sie hatte den Kick, es war so gekommen, wie sie es sich vorgestellt hatte, und Tabita spürte, daß sie dieses Wissen kaum verkraften konnte, denn ihre Knie fingen an zu zittern, und die Beine wurden ihr weich, so daß sie Mühe hatte, überhaupt stehen zu bleiben.
ER war verschwunden. Tabita sah ihn nicht mehr, aber sie wußte, daß ER trotzdem noch da war. Es war seine Welt, er verließ sie nicht, und es würde nicht mehr lange dauern, bis ER perfekt war.
Herrlich…
Sie wandte sich ab. Der Atem strömte aus ihrem Mund. Erleichterung breitete sich aus, gepaart mit Erschöpfung. Wieder einmal hatte sie es hinter sich gebracht, aber diesmal waren ihre Gefühle ganz anders gewesen. Sie hatte genau gespürt, daß das letzte Ziel nur noch eine Armlänge entfernt von ihr war.
Was bedeutete das?
Noch wußte sie es nicht. Sie mußte darüber nachdenken, aber nicht hier in der Trauerhalle. Deshalb löschte sie die Kerzenflammen und bewegte sich durch das Dunkel auf die Tür zu, die sie aufzog, um den Schuppen zu verlassen.
Tabita fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, aber innerlich trotzdem unruhig.
Sie brauchte Ruhe, Schlaf, und den würde sie hier draußen nicht bekommen.
Mit unsicher wirkenden Schritten ging sie an der Vorderseite des Schuppens vorbei und näherte sich dem eigentlichen Wohnhaus. Es war eben das alte Bauernhaus, kleiner als die Scheune, mit einem reparaturbedürftigen Dach, aber das alles kümmerte sie im Augenblick nicht.
Andere Dinge waren wichtiger.
Sie lebte in den unteren Räumen. Einer war groß genug, um ihre Ansprüche zufriedenzustellen.
Licht gab es in dem Haus nicht. Da niemand die Rechnung beglich, hatte die Gesellschaft dem Haus Strom und
Weitere Kostenlose Bücher