0870 - Tabitas Trauerhalle
Jane wußte es nicht, diese Gegend war ihr fremd, und so entschloß sie sich, den Wagen am Rand dieser Straße stehenzulassen. Es war jetzt besser, wenn sie den Rest der Strecke zu Fuß ging, da konnte sie so schnell nicht gesehen werden, denn auf den Feldern verteilten sich Gras und Strauchwerk. Bei geducktem Gehen böten sie ihr eine gute Deckung.
Jane Collins war eine Frau der Tat. Jemand, der nicht lange zögerte, und das bewies sie auch jetzt.
Sie nahm auch nicht den normalen Weg, sondern kürzte ab.
Wenig später schon fühlte sie sich in ihre Kindertage versetzt, als sie, zusammen mit Freunden und Freundinnen durch die Felder gestreift war und sich die Gruppe vorgestellt hatte, von irgendwelchen Feinden angegriffen zu werden.
Diesmal war es kein Spiel, heute war es ernst, und Jane verstand es auch, die Gefahr richtig einzuschätzen, denn je mehr sie sich ihrem Ziel näherte, um so stärker spürte sie die Ausstrahlung der anderen. Es kam ihr beinahe vor, als hätte Tabita auf sie gewartet.
Okay, sollte sie.
Jane war bereit, den Kampf anzunehmen!
***
Und Tabita war es ebenfalls!
Sie wußte Bescheid. Schon längst hatte auch sie gespürt, daß man ihr auf den Fersen war. Die Nacht und die Botschaft hatte sie nicht vergessen, sie war losgefahren auf der Suche nach einem Opfer und hatte plötzlich etwas gespürt, das sehr weit zurücklag. Es war zu einem regelrechten Zusammenprall zwischen ihnen gekommen. Nicht zu einem körperlichen, dieser Rammstoß hatte sie auf geistiger Ebene getroffen, denn dieses Phänomen hatte sie wieder an die Vergangenheit erinnert. An eine Zeit, in der sie auf der Suche gewesen war. Da hatte sie ihre Linie noch nicht gefunden gehabt und überall einmal hineingerochen.
Auch in die Hexenkreise!
Eine Hexe!
Eine schwache Hexe nur, doch immerhin noch so stark, daß sie in deren magischen Dunstkreis hineingeraten war und ihn auch so deutlich gespürt hatte.
Sie fuhr weiter. Sie stoppte nicht, sie ließ sich nichts anmerken, aber sie hatte schon bald festgestellt, daß ihr jemand auf den Fersen war, und daß die Ausstrahlung nicht geringer wurde. Der magische Kontakt blieb erhalten.
Sie verließ den Ort. Auf der geraden Straße würde sie einen Verfolger gut erkennen können. Ein Wagen blieb hinter ihr. Zwar in respektvoller Entfernung, aber immerhin. Er fuhr nicht ab, er wurde nicht zur Seite gelenkt, er war einfach da, und er blieb ihr auch auf den Fersen. Wer immer ihn fuhr, der mußte genau gewußt haben, wie schwer es war, eine Verfolgung zu gestalten, aber er blieb am Ball. Das heißt, so dachte Tabita, er will mich.
Oder will sie mich?
Während sie fuhr, dachte sie über den Kontakt nach. Bei den Hexen hatte sie ihn zuletzt deutlich gespürt. Deshalb war es durchaus möglich, daß hinter dem Lenkrad des anderen Fahrzeugs eine Person saß, die zugleich Frau und Hexe war.
Auch ein Opfer für IHN!
Denn IHM war es egal, wer in ihrer Trauerhalle als Leiche lag oder dort ums Leben kam. Ob Mann, Frau oder Kind, ER nahm alles an, um IHN und auch Tabita ans Ziel zu bringen.
Sie gab sich locker und fuhr direkt auf das Ziel zu. Ihrer Sache war sich die Person sicher.
Ein Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt, als sie den Caravan direkt neben der Scheune parkte, ausstieg und ihr Refugium betrat. Es war nicht mehr so dunkel wie in der Nacht, obwohl in ihrer Trauerhalle keine Kerzen leuchteten. Aber ein wenig Licht drang doch durch Ritzen und Spalten, so daß breitere Flecken auf den Boden fielen und als helles Muster blieben.
Es roch wie immer nach kalten Kerzen, und sie sah den seidendünnen Vorhang, der ihre Trauerhalle in zwei Hälften teilte. Sie ging hin und strich mit der Hand über den Stoff hinweg. Er war so wunderbar geschmeidig, und Tabita konnte auch auf die andere Seite schauen.
Dort sah sie nichts.
ER zeigte sich nicht, aber sie glaubte fest daran, daß ER trotzdem vorhanden war. Es ging nicht anders, denn das war sein Platz. Tabita hatte ihn für IHN geschaffen.
Ich liebe ihn wie mich selbst, dachte sie und lachte scharf über ihre eigenen Gedanken, ohne sich anschließend eine Erklärung zu geben, aber sie wußte Bescheid.
Stille lastete in der Trauerhalle. Erwartungsvolle Stille, gepaart mit einer klebrigen Kälte, die einfach nicht aus dieser normalen und sichtbaren Welt stammen konnte.
Tabita ging zur Tür. Sie ließ sie geschlossen und baute sich dicht neben ihr auf. Dann wartete sie ab…
***
Jane Collins hatte es sich nicht leicht gemacht,
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