0875 - Medusas Tochter
hat, John.«
Danach hatte ich mich richten müssen und war dann mit Lady Sarah zu diesem Friedhof nordöstlich von London gefahren. Ein Totenacker, der nicht nur an einer Landstraße lag, sondern auch mitten in der Natur, denn einen Ort gab es weit und breit nicht. Es wurden hier auch keine Menschen mehr begraben, diejenigen, die hier ihre letzte Ruhe gefunden hatten, waren Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gewesen, und so sah der Friedhof auch aus. Unter den nassen und wie trauernd wirkenden Bäumen sahen die schlichten grauen Steine noch düsterer und dumpfer aus. Viele waren mit Moos bewachsen und so schnell nicht zu sehen.
Es führten keine Wege über das Gräberfeld, man ging einfach auf dem Gras- und Unkrautteppich dahin. Wer den Friedhof mit einem Fahrzeug erreichen wollte, mußte außen herum und das hatte der Fahrer des kleinen Baggers getan.
»Sie sind schon dabei«, sagte Sarah.
»Es wird uns trotzdem reichen.«
»Das denke ich auch.«
Eine Handvoll Männer umstanden den Bagger und schauten zu, wie sich die Schaufel in den Boden fraß. Ich sah auch zwei Uniformierte. Einer von ihnen hatte uns gehört. Er drehte sich um und streckte uns die Hände entgegen. »Bitte, gehen Sie, hier gibt es nichts zu sehen.«
»John Sinclair - Scotland Yard«, sagte ich.
»Pardon, Sir, ich wußte nicht…«
»Schon gut.« Ich stellte Sarah vor und erkundigte mich, wie weit die Arbeit bereits fortgeschritten war.
»Wir fangen eben erst an.«
»Dann sind wir ja genau richtig.«
»Das denke ich auch, Sir.«
Sarah und ich bauten uns so auf, daß wir das Grab sehen konnten. Es gehörte nicht zu den Soldatengräbern. Es war jüngeren Datums. Hier hatte jemand die relativ einsame Lage des Friedhofs ausgenutzt.
Die übrigen Anwesenden hatten unser Gespräch ebenfalls mitbekommen. Sie wußten, wer ich war, drehten ihre Köpfe, schauten uns an, gaben aber keinen Kommentar.
Das Gelenk des kleinen Baggers quietschte. Häßliche Laute, die sich immer wiederholten und meine Ohren traktierten. Auch Sarah mochte sie nicht. Sie hatte das Gesicht zu einem säuerlichen Grinsen verzogen. Wir standen so, daß wir auf das Grab schauen konnten, und die Zähne der Baggerschaufel fraßen sich tiefer in den weichen Boden. Die Schaufel war wie ein Maul. Sie riß die nasse, schwere Erde aus ihrem Gefüge und schleuderte sie dann zur Seite.
Ich stieß die Horror-Oma an. Mit diesem Spitznamen war Lady Sarah gesegnet. »Willst du mir nicht endlich sagen, was wir beide hier auf dem verregneten Friedhof sollen?«
»Nein.«
»Überraschung bis zum Schluß.«
»So ist es, John.«
»Ich denke, daß wir dort unten im Grab einen Sarg finden werden. Oder hat dir Jane etwas anderes gesagt?«
»Nein, das nicht. Sie wollte nur, daß du mitmischst, denn sie fühlte sich überfordert.«
»Das ist sehr vernünftig von ihr. Darf ich denn fragen, ob es hier um einen Ghoul geht?«
Die Horror-Oma lächelte spitzbübisch. »Nicht immer müssen irgendwelche Ghouls auf den Friedhöfen hausen. Nein, es geht nicht um einen Ghoul. Aber ich will dir einen Tip geben, du Quälgeist. Es handelt sich um eine Mordserie, die nicht bekannt geworden ist. Zumindest haben die Taten die breite Öffentlichkeit noch nicht erreicht, aber sie sind deswegen nicht weniger schlimm und auch nicht weniger mysteriös.«
»Dann muß ich damit rechnen, ein Opfer dieser Mordserie hier in diesem Grab zu finden?«
»Das ist richtig, John.«
»Und Jane wußte trotz dieser Geheimnistuerei Bescheid?«
»Ja.«
»Wie kam es?«
»Das hat sie mir nicht gesagt. Nur ihre Auftraggeber sind informiert worden, jetzt aber lassen sich diese Taten wohl nicht mehr verheimlichen, denke ich.« Sarah trat etwas nach vorn, um besser sehen zu können. Ich folgte ihr mit dem Schirm und mußte zugeben, daß sie mich inzwischen noch neugieriger gemacht hatte.
Der Baggerführer verstand sein Fach. Ihm hätte ich sogar Geschirr anvertraut, um es mit der Schaufel heben zu lassen. Man merkte, daß er nicht zum erstenmal ein Grab aushob. Leute wie er hatten die alten Totengräber brotlos gemacht.
Es lag bereits ein ziemlich hoher Hügel rechts der Grabstelle. Von den Anwesenden sprach kaum jemand ein Wort. Der Regen rieselte unaufhörlich und senkte die Stimmung. Bei mir war das nicht der Fall. Nach diesem heißen, schon tropischen Sommer freute ich mich über die kühlere Witterung.
Ein Mann mit braunem Hut und hellem Staubmantel kam auf uns zu. Er stellte sich als Jim McHart vor, arbeitete bei der
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