0878 - Raniel und die Gerechten
weiß wirklich nicht, auf was du hinauswillst.«
»Glaubst du denn, daß er ein Engel ist, ein Gerechter, oder könnte nicht noch ein dritter Begriff hinzukommen?«
»Du wirst ihn mir nennen, Suko.«
»Ja«, murmelte mein Freund », ich werde ihn dir nennen. Vielleicht wirst du mich auslachen, vielleicht wirst du aber auch nachdenken. Könnte es sein, daß wir es bei Raniel ebenfalls mit einem Außerirdischen zu tun haben?«
Ich schwieg. Der Gedanke erschien mir im ersten Moment abwegig. Ein Engel, ein Außerirdischer gab es da überhaupt Parallelen? Ich konnte sie nicht sofort feststellen, denn Engel waren feinstoffliche Wesen im Gegensatz zu Außerirdischen. Wir kannten nur Kevin und mußten deshalb von ihm aus hochrechnen.
Auf der anderen Seite traf die direkte Beschreibung eines Engels auf Raniel nicht zu. Er war kein feinstoffliches Wesen, das hatte er uns mehr als einmal bewiesen - ja, er war beides.
Halb Mensch - halb Engel!
Ein Engelmensch!
Ich sprach mit Suko darüber, und mein Freund stimmte mir zu. »Das ist der Weg«, sagte er, »Raniel kann sowohl als auch. Er bewegt sich in beiden Sphären. Für ihn gibt es keine Widerstände, wir haben es selbst erlebt, er kann Grenzen überwinden, er ist jemand, der auf seine Art für Gerechtigkeit sorgt.«
»In Zusammenhang mit einem Militärcamp, in dem Forschungen stattfinden, die mehr als geheim sind.«
Suko hob die Schultern.
Ich zeigte auf Kevin. »Und wir haben ihn. Wir sind mit ihm zusammen, mit einer Person, die von einem fremden Stern stammt. Wenn er der Gerechte ist, dann muß er auch einen Grund haben, als Gerechter einzugreifen. Es muß also Unrecht geschehen sein, das ihn veranlaßt, so zu handeln.«
»Was hat er denn bisher getan?« fragte Suko.
Ich verstummte.
»Du weißt es nicht.«
»Na ja…«
»Das ist keine Antwort. Aber erinnere dich an das Licht und an die Schattengestalt darin. Und jetzt denke daran, daß Raniel halb Mensch und halb Engel ist. Wahrscheinlich wird er uns vor dem Licht beschützt haben in seiner zweiten Engelsgestalt. Jedenfalls finde ich keine andere Erklärung.«
»Ich akzeptiere sie.«
»Für immer?«
»Nein, Suko, sicherlich nicht. Aber du wirst ähnlich darüber denken, glaube ich.«
»Stimmt.«
Wo war der Punkt, an dem wir den Hebel ansetzen konnten? Bisher hatten wir ihn nicht gefunden.
Was war so schlimm daran, daß Raniel sich bemüßigt fühlte, einzugreifen?
Ich wußte die Lösung nicht, und auch Suko knackte an dieser Nuß herum. Jedenfalls hatte sich Raniel gezeigt. Wahrscheinlich deshalb, damit wir wußten, daß er sich ebenfalls in dieses geisterhafte Spiel eingeklinkt hatte.
Nur waren wir beide zur Untätigkeit verdammt. Meine Gedanken führten von Raniel weg, und erst jetzt wurde mir wieder bewußt, an welch einem Ort wir uns befanden.
Wir steckten in einem fremden Raumschiff. Wir erlebten den Traum vieler Menschen als Tatsache mit, und nicht nur das. Wir befanden uns noch in der Begleitung eines Außerirdischen, dessen Raumschiff im Camp Aurora gestrandet war.
Meine Gedankenkette führte dazu, daß ich Kevin wieder einen Blick gönnte. Zudem war mir seine Bewegung aufgefallen. Er hockte noch immer auf dem Boden, die Arme hatte er sinken lassen, die langen Beine angezogen. Die Haut spannte sich über seinen Knochen, und in den Facetten der Insektenaugen bewegten sich irisierende Lichter in verschiedenen Farbtönen. Da wir ihn nicht kannten, mußte ich raten. Ich ging davon aus, daß Kevin noch immer unter Furcht litt, etwas Menschliches, was auch einem Wesen wie ihm nicht fremd war.
Er konnte seine Äugen so drehen, um alles in seiner Nähe unter Kontrolle zu halten. Er zuckte nicht zurück, als ich auf ihn zuging und ihm dabei mit einer sehr langsamen und bedächtigen Geste die rechte Hand entgegenstreckte. Meine Sprache würde er nicht verstehen, ich hoffte, daß ihm ein Lächeln Mut machte und nickte ihm noch zu.
Vor einem Kontakt fürchtete ich mich nicht mehr, und auch jetzt umfaßte ich seine dreifingerige Hand.
Er hielt mich fest.
Willig ließ er sich von mir in die Höhe ziehen, blieb vor mir stehen, schaute mich aber nicht an, sondern zeigte nur Interesse für den großen Monitor.
Dessen Schirm blieb leer, Kevin brauchte durch ihn nicht mehr beunruhigt zu werden.
»Geht es dir gut?« fragte ich. Zwar verstand er mich nicht, ich wollte nur erfahren, wie er auf meine Worte reagierte.
Obwohl er keine Ohren hatte, konnte er mich hören. Er reagierte auch. Ich merkte es
Weitere Kostenlose Bücher