088 - Das Dreigestirn der Hölle
es eines Tages zu überwinden…"
Du verstummst, als hättest du die Sprache verloren.
Da erscheint vor dir auf der Gipfelplattform deines Berges ein Geschöpf wie aus einem deiner Träume. Eine Frau mit langem gelbem Haar im Gewand einer Hohepriesterin.
„Vater", sagt sie mit einer Stimme wie Windsäuseln und Feuerknistern.
„Dahut!" ruft Hermon erzürnt. „Habe ich dir nicht verboten, den Berg der Versuchung aufzusuchen!"
„Aber ich wollte nichts Böses", rechtfertigt sich Dahut, Hohepriesterin von Ys und Tochter des mächtigen Hermon. „Ich dachte nur, daß dein stolzer Wächter sicher dankbar für eine einzige kleine Gabe wäre. Er ist hier dem Unbill des Wetters ausgesetzt, bei Tag und bei Nacht. Und er ist so allein."
„Ist es das, Unga?" fragt dich der weise Hermon, dem bei aller Weisheit menschliche Regungen fremd geworden zu sein scheinen. „Ist es die Einsamkeit, die dich bedrückt?"
Du aber kannst jetzt mit ruhigem Gewissen sagen: „Ich bin nicht mehr einsam, Hermon. Von heute an trage ich das Bild der schönen Dahut in mir."
Das versöhnt Hermon mit seiner Tochter, und er verzeiht ihr ihren Ungehorsam. Aber sicherlich sähe er es nicht gern, daß sie dich wieder aufsuchen würde, denn er spricht ein Verbot unter Androhung einer strengen Strafe aus.
Doch Dahut hält sich nicht an das Verbot!
Was verleitet sie zu diesem Ungehorsam? Ist es der Stolz der Hohepriesterin, die sich nichts befehlen lassen will? Glaubt sie, daß sie bereits mächtiger ist als Hermon selbst?
Sie gibt dir die Antwort. „Die Liebe hat mich zu dir getrieben, Unga."
Du bist bestürzt, drängst sie, sofort den. geheiligten Berg zu verlassen. Doch sie weigert sich, und du müßtest sie töten, um deinen Willen durchzusetzen. Dazu aber bist du zu schwach.
Und dann liegt sie in deinen Armen, und du erwiderst ihre Zärtlichkeiten, und als sie dich verläßt, schmerzt dich die Einsamkeit mehr als je zuvor.
Doch Dahut kommt wieder. Ihr liebt euch. Und dann verschwindet sie so heimlich, still und leise, wie sie gekommen ist.
Du kannst ohne sie nicht leben. Gleichzeitig erkennst du, daß du gegen Hermons Gebote verstoßen hast. Aber bist du deshalb ein schlechterer Wächter? Du erfüllst deine Pflicht nach wie vor. Du behütest das Geheimnis des Tempels. Hast ein wachsames Auge auf den größten aller Langsteine, den Frauenstein, der der eigentliche Schlüssel zum Meer ist.
Nein, du bist ein untadeliger Wächter. Aber auch ein Mensch, ein Mann, der in die Arme einer schönen Frau flieht. Und wenn sie bei dir ist, dann versinkt der Berg um dich, dann vergißt du die Welt und ihre Gefahren. Aber du leugnest, daß du dabei deine Pflicht vernachlässigst.
Du leugnest so lange, bis es zur Katastrophe kommt.
Es ist einer der schönsten Augenblicke, die du mit Dahut erlebst, als sie plötzlich etwas Seltsames tut: Sie beginnt zu lachen. Sie befreit sich aus deinen Armen und entfernt sich rückwärtsgehend, dabei immerfort lachend. Zugleich sagt sie unschöne, gemeine Worte zu dir. Sie beschimpft dich! Ein Gewitter bricht los. Wolken ballen sich drohend zusammen. Blitze zucken zur Erde nieder. Das Meer türmt sich zu berghohen Wogen auf, und die Langsteine des äußersten Walles neigen sich unter dem Druck der drängenden Wasser.
„Was für ein Narr du bist, Unga!" ruft dir Dahut über das Sturmgetöse zu. „Ein Schwächling - eben ein Mann, den Waffen einer Frau unterlegen. Blicke auf zum Tempel, dessen Wächter du bist."
Erst jetzt merkst du, wie weit dich Dahut von dem Tempel fortgelockt hat. Eine Gestalt taucht dort oben auf, die menschenähnlich ist, aber kein Mensch sein kann.
Es muß sich um einen Linkshänder handeln.
Er hält etwas in der Hand, das ein grelles Licht verströmt, so daß du geblendet wegsehen mußt. Ein Krachen und Donnern, das aus der Ebene kommt, läßt dich hochfahren. Ein Blitzstrahl, der vom Gipfel des heiligen Berges kommt, schlägt in den Frauenstein und reißt ihn in vier Teile.
Fassungslos siehst du, daß der Schlüssel der Meere umkippt.
Da brausen die Wasser jenseits der steinernen Nadeln heftiger als je zuvor. Eine Springflut rollt heran und wälzt sich auf das Land zu. Die Langsteine können die entfesselten Wassermassen nicht mehr bändigen, werden überrollt und versinken in den Fluten.
Die Woge nähert sich unaufhaltsam der Stadt Ys. Das Wasser steigt, erreicht die ersten Hütten und Totenhäuser…
Du bist starr vor Entsetzen. Denn du weißt, daß du an dieser Katastrophe
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