0880 - Der Vampir von Cluanie
seines Schädels war mit ein paar kleinen Männchen zu vergleichen, die mit Hammer und Meißel versuchten, die Schädeldecke aufzusprengen und ins Freie zu gelangen.
»Was willst du?«, stieß Ghared Saris ap Llewellyn hervor, als der Angreifer näher kam und leise kicherte.
»Dich«, war seine Antwort.
»Hast du Chloe bei dir?«
»Nein.« Der Vampir kicherte erneut und packte den am Boden Liegenden am Kragen seines karierten Wamses. »Ich bringe dich aber zu ihr.«
Einerseits war Ghared erleichtert. Andererseits wurde ihm mulmig zumute. Er hatte Angst davor, dass Chloe ebenfalls zu einem Vampir geworden sein könnte. Trotzdem ließ er sich mitschleifen.
Ihm fehlte einfach die Kraft, um auf eigenen Füßen zu gehen…
***
Gegenwart, Château Montagne, 2008:
Rhett keuchte. Er schluckte kurz und leckte sich über die Lippen, als die Erinnerungen an damals schnell und ungebremst auf ihn einfluteten. Er wusste nicht, wie er sie zurückhalten sollte und er war sich nicht sicher, ob er mit seinen Befürchtungen und Ängsten nicht gleich zu Zamorra oder Nicole gehen sollte.
Er wusste nicht, was es war, das ihn beängstigte und er war sich sicher, als er sich von seinem Bett erhob, dass die Ereignisse von damals nicht umsonst in ihm ausbrachen. Es musste einen Grund dafür geben. Rhett fasste sich an den Kopf und meinte den harten Schlag seines Gegners selbst jetzt noch zu fühlen.
Obwohl die Ereignisse, die er erlebte, schon lange zurücklagen, war es ihm, als ob er neben dem Kampf gestanden und ihn beobachtet hatte.
Rhett öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Er schaute auf den Flur. Niemand war zu sehen.
Der junge Erbfolger hatte sich einen Plan zurechtgelegt, und er war sich nicht sicher, warum der Gedanke »Vertrag« plötzlich in ihm aufblitzte.
Mit wem hatte er einen Vertrag?
Rhett eilte in das Kellergewölbe des Châteaus und suchte die Regenbogenblumen auf. Jene seltsamen Pflanzen, die durch die Kraft der Gedanken einen Menschen ohne Zeitverlust von einem Ort zum anderen transportierten. Man musste nur eine klare Vorstellung von dem Platz haben, an dem man erscheinen wollte - vorausgesetzt, an jenem Ort gab es ebenfalls Regenbogenblumen.
Die mannshohen Pflanzen, die in einem kuppeiförmigen Raum unter dem Licht einer frei schwebenden Minisonne wuchsen, verbanden das Château mit anderen Orten, anderen Welten und sogar anderen Zeiten, wenn man einen Fehler bei der Zielvorstellung beging. Die Druidin Teri Rheken hatte bei einem Versuch andere Welten bereist. Ebenso Zamorra und seine Freunde. Woher die Regenbogenblumen genau stammten, vermochte niemand zu sagen. Bekannt war nur, dass die Unsichtbaren diese Blumen überall angepflanzt hatten, um von Welt zur Welt zu reisen.
Inzwischen betätigte sich auch Zamorra als »Gärtner« und pflanzte an einigen Stellen Regenbogenblumen an, um Wege zu verkürzen.
Rhett trat zwischen die Regenbogenblumen und dachte an Spooky-Castle und den dort durch die Ruinen des alten Gemäuers geisternden Sir Henry. Im gleichen Moment befand der Erbfolger sich bereits am Ziel und trat dort zwischen den Regenbogenblumen hervor. Die Blumen verdankten ihre Bezeichnung ihrem Aussehen. Die mannsgroßen Blütenkelche zeigten sich dem Betrachter je nach Perspektive in allen Farben des Regenbogenspektrums schillernd.
Natürlich wäre es für ihn einfacher gewesen, sich direkt nach Llewellyn-Castle transportieren zu lassen. Aber dort gab es noch keine; Zamorra war bisher noch nicht dazu gekommen, sie auch hier anzupflanzen.
Spooky-Castle war einst der Stammsitz des Llewellyn-Clans gewesen. Aber irgendwann hatte der damalige Lord die Burg aufgegeben, die nun seit Jahrhunderten verfiel, und Llewellyn-Castle errichten lassen. War es geschehen, weil er den spukenden Sir Henry nicht mehr ertragen wollte? Das Wissen darüber fehlte Rhett.
Der Erbfolger schaute sich nicht lange um. Er kannte sich hier aus. Rhett wusste auch, dass Julian Peters, der Träumer , ganz in der Nähe in Llewellyn-Castle sein Domizil aufgeschlagen hatte. Hin und wieder ließ er sich dort für eine Weile nieder.
Nicht, dass er darum gebeten oder sich die Erlaubnis von Patricia oder Rhett geholt hatte.
Julian Peters war ein Einzelgänger und Sonderling. In den wenigen Augenblicken, in denen Rhett dem Träumer gegenübergestanden hatte, war ihm niemals wohl zumute gewesen. Der Sohn von Robert Tendyke war arrogant und überheblich. Nur aus Spaß hatte er sich einst auf den Höllenthron gesetzt und als Fürst der
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