0881 - Das Kind der Mumie
Suko.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. »Nur verschwunden?«
»Ja.«
»Was dachtest du denn?« fragte Tanner.
Ich hob die Schultern und wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. »Nun ja, als ich dich entdeckte, da klingelte es in meinem Kopf Alarm…«
»Nein, nein, es ist Zufall, daß ich hier bin.« Er erklärte mir mit zwei Sätzen, weshalb er neben Suko stand, und dann war mein Freund und Kollege an der Reihe, um mir zu berichten, was passiert war.
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Konnte zugleich nicht die Gänsehaut ignorieren, die über meinen Rücken hinwegfloß, und auch die Trockenheit in meiner Kehle wollte zunächst nicht verschwinden. Bevor ich die beiden unterstützen konnte, mußte ich meinen Wagen zur Seite fahren, der anderen Fahrzeugen im Weg stand. Deren Fahrer hatten bereits lautstark protestiert.
Ich fand in der Nähe eine leere Parktasche, löschte die Scheinwerfer und ging den Weg wieder zurück. Wohl war mir nicht, denn Shaos Verschwinden konnte alles bedeuten, sogar das Schlimmste.
»Ein Psychonaut. Was schließt du daraus, John?«
»Daß jemand Jagd auf die Psychonauten macht.«
»Nicht nur jemand, John. Es ist der Junge. Es ist der Junge mit den goldenen Augen. Ein Kind, mit dessen Existenz ich einfach nicht zurechtkomme. Ich denke, daß es dir ebenso ergehen wird.«
»Ein Kind, das verschwunden ist«, sagte Tanner. Er stieß seinen Hut zurück. »Zusammen mit Shao. Zwischen ihnen muß es einfach einen Zusammenhang geben. Shao hat meiner Ansicht nach einen Fehler begangen. Sie hätte den Jungen nie und nimmer verfolgen dürfen. Es muß ihm aufgefallen sein, und er wird seine Konsequenzen daraus gezogen haben, wie auch immer.«
Suko nickte. »Ja, wie auch immer…«
Ich wußte, was die beiden Männer vorgehabt hatten. Deshalb drängte ich darauf, in das Hotel zu gehen, um dort Fragen zu stellen. Es war nur eine schwache Chance, etwas herauszubekommen, aber immer noch besser, als gar nichts zu tun.
»Gut, dann werden wir uns die Sache mal anschauen.« Ich machte den Anfang und überquerte als erster die Straße, an deren anderer Seite der Parkplatz begann und auch der mit Kies und Schotter bestreute Weg, der zum Hoteleingang hochführte.
Meine Kopfschmerzen waren noch nicht verschwunden, aber die Probleme, die jetzt auf mich zukamen, hatten Priorität. Sie waren lächerlich im Vergleich zu denen, die mich persönlich betrafen.
Das Licht der Eingangsbeleuchtung strahlte zurück bis auf den Weg. Unsere Gestalten malten sich darin ab, bevor wir noch die Treppe erreicht hatten. Ich wartete auf Tanner und Suko, drehte mich zu ihnen um und hörte aus der anderen Richtung plötzlich Tritte. Sie klangen etwas unsicher und waren mir deshalb aufgefallen.
Ich schaute hin, sah eine Gestalt, die sich dem Licht näherte, und dann gellte ein Schrei aus Sukos Mund.
»Shao!«
Er flog seiner Partnerin entgegen. Suko schien zu fliegen und kaum den Boden zu berühren, aber auch Shao lief auf ihn zu, und sie warf sich in seine Arme.
Ich atmete tief durch, stieß danach erleichtert die Luft aus, denn Shao hatte auf mich den Eindruck gemacht, als wäre ihr nichts geschehen. Das sagte auch Chief Inspector Tanner, der sich neben mich gestellt hatte und seine Zufriedenheit durch brummelnde Worte ausdrückte. »Es ist noch mal gutgegangen«, hörte ich ihn sagen.
»Ja, zum Glück.«
Suko und Shao hatten sich voneinandergelöst. Shao redete heftig auf ihren Partner ein. Wir konnten nichts verstehen, was sich änderte, als Suko Shao zu uns führte. »So, jetzt wirst du alles noch einmal erzählen können.«
Wir standen im Licht. Shao fiel mir ebenso um den Hals wie Tanner, der etwas verlegen war, sich dann aber fing und tief durchatmete. »Ich denke, daß du uns einiges zu berichten hast.«
»Und wie.«
»Sie ist haarscharf mit dem Leben davongekommen«, erklärte Suko.
»Und wer hat sie gerettet?« wollte ich wissen.
»Der Junge.«
»Bitte?«
»Der Reihe nach, John, laß sie der Reihe nach erzählen.«
Das wollte Shao auch. Zuvor warf sie einen scheuen Blick auf die Hotelfassade und zog sich dann zurück, bis wir drei im Schatten standen. Dort erst begann sie mit ihrem Bericht. Sie stand noch immer unter dem Eindruck des Erlebten. Manchmal überschlug sich ihre Stimme, dann wurde sie wieder leiser, sie bekam auch einen Schauer oder schüttelte hin und wieder den Kopf, als könnte sie das, was da geschehen war, alles nicht fassen. Sie verkrampfte ihre Hände ineinander,
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