0881 - Das Kind der Mumie
ihre Plätze nahe der Fenster gefunden, die dicht nebeneinander lagen, wobei die Scheiben wegen der zugezogenen graugrünen Vorhänge nicht zu sehen waren.
Der Junge mit den goldenen Augen saß in einem der beiden Sessel. Er hatte eine steife Haltung eingenommen. Die Hände hatte er gefaltet und in den Schoß gelegt. Er starrte ins Leere. Er machte einen nachdenklichen Eindruck, als würde er es bereuen, die Frau freigelassen zu haben. Der Pferdeschwanz saß ihm gegenüber, beobachtete das Gesicht des Jungen, während sich sein Bruder zwischen Wohnraum und Flur aufhielt wie ein Wachhund.
Beide Männer trugen dunkle Kleidung. Sie hätten auch bei hellstem Sonnenlicht düster und gefährlich gewirkt.
»Es war nicht gut, Kinok, was du da getan hast«, sagte Hamet. »Gar nicht gut.«
Der Junge runzelte die Stirn. »Sie gehört nicht zu ihnen, das habe ich gespürt.«
»Aber sie ist eine Zeugin gewesen. Sie hat dich verfolgt. Sie hat wissen wollen, wer du bist.«
»Ja, sie war neugierig.«
»Zu neugierig, und ich traue ihr noch immer nicht. Wir werden wohl von hier verschwinden müssen, denn wir sind aufgefallen. Die Polizei wird nach einem Jungen mit goldenen Augen suchen, und es wird leicht für sie sein, dich zu finden. Aus diesem Grunde müssen wir noch heute abreisen.«
Kinok hob den Kopf. »Kann man mir etwas nachweisen?«
»Nein, das nicht.«
»Es reicht auch nicht die Aussage der Zeugen.«
»Das weiß man nie. Man wird dich verhören, man wird sich mit dir beschäftigen. Du bist der Junge mit den goldenen Augen. So etwas kann es einfach nicht geben. Du bist ein Phänomen, und du bist jemand, der auf keinen Fall auffallen soll. Dies ist nun vorbei, wir müssen deshalb unser Pläne umstellen. Die Koffer sind gepackt. Nichts wird uns daran hindern, das Hotel hier zu verlassen.«
Kinok sah aus, als hätte er nicht richtig zugehört. Er schaute ins Leere, wie jemand, der mit seinen Gedanken ganz woanders war. »Sie ist etwas Besonderes gewesen. Ich habe es gespürt. Sie ist ein Mensch und trotzdem eine andere Person. Ich schaute sie an und konnte in ihre Seele hineinblicken. Sie umgibt ein Geheimnis, aber ich weiß nicht, welches. Versteht ihr das?«
»Nein«, antwortete Hamet für seinen Bruder gleich mit. »Du sprichst in Rätseln.«
»Ich muß es klären!« Nach diesen Worten stand Kinok mit einem Ruck auf.
»Wie bitte?«
»Ja, ich muß es klären. Ich muß herausfinden, wer diese Frau ist.«
»Vergiß sie!«
Kinok schaute Hamet von der Seite her an. »Vergessen? Nein, ich kann sie nicht vergessen. Sie hat einen unauslöschbaren Eindruck bei mir hinterlassen.« Er nickte sich selbst zu. »Sie wird mich ebenfalls nicht vergessen können.«
Hamet zeigte ein scharfes Lächeln. »Du mußt sie vergessen. Unsere Aufgabe ist wichtiger. Man darf dich nicht so schnell bemerken. Man darf von dir nichts wissen. Man darf nicht erfahren, wessen Kind du bist. Kannst du das nicht verstehen?«
»Alles ist anders geworden. Ich habe nicht geglaubt, daß ich auf jemanden wie diese Frau treffen würde.«
»Hör auf damit! Wir sind als deine Beschützer ausgesucht worden, und wir werden dich beschützen. Wir werden alles von dir fernhalten, was dir gefährlich werden kann. Du bist für die Zukunft sehr wichtig, das weißt du mittlerweile auch.«
»Ich möchte sie aber sehen!«
»Nein!« sagte Hamet mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Der Junge mit den goldenen Auge schaute ihn an, und Hamet kannte diesen Blick genau. Obwohl er ihn schon mehrere Male erlebt hatte, würde er sich nie daran gewöhnen können, das stand fest, und tief in seinem Innern lauerte die Angst vor diesem Jungen, dessen Kräfte ihm und seinem Bruder unheimlich waren. Hamet wußte, daß ihn Kinok zwingen konnte, das zu tun, was er wollte, aber er wußte auch, daß Kinok auf sie angewiesen war, denn allein kam er in dieser fremden Welt nicht zurecht.
Hamet versuchte es mit einem Lächeln. Er mußte einen Kompromiß finden, mit dem beide leben konnten, und er nickte in den Blick dieser goldenen Augen hinein. »Es ist schon gut«, sagte er, »ich habe mich etwas im Ton vergriffen. Vergiß es, aber erkläre mir, wie dein Plan aussieht. Was hast du dir ausgedacht?«
»Ich denke daran, hier in London zu bleiben.«
»Trotz der Polizei?«
»Sie wird mir nichts beweisen können und euch auch nicht. Auch die Frau wird uns nicht gefährlich werden. Ich habe ihren Hals geheilt. Es sind nicht einmal Druckstellen zurückgeblieben. Man wird
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