0881 - Das Kind der Mumie
jagte dem Getroffenen hinterher.
Er bewegte sich unwahrscheinlich schnell, blieb auch nicht auf seinen Beinen, tauchte kurz vor dem Ende des Ganges nach unten und überwand mit zwei blitzschnellen Rollen die Schwelle.
Der Getroffene fiel zu Boden, aber sein Bruder war noch da. Suko sah ihn, als er sich drehte, und er entdeckte auch den Dolch in dessen rechter Hand.
Dahinter das verzerrte Gesicht wie eine böse Maske, und nichts konnte ihn davon abhalten, den Dolch zu schleudern. So schnell kriegte Suko seine Hand nicht mehr hoch.
Die Waffe raste auf den Inspektor zu!
***
Das war genau der Moment, in dem ich den Flur überwunden hatte. Suko lag am Boden, der Getroffene ebenfalls. Auf beide achtete ich nicht, denn ich schaute nach rechts.
Der Mann mit dem Pferdeschwanz hatte die Waffe bereits geschleudert. Sie fuhr wie ein Blitz auf meinen Freund zu, und auch ein Schuß meinerseits hätte ihn nicht retten können.
Er kam trotzdem mit dem Leben davon, denn was plötzlich geschah, war einfach unglaublich.
Der Dolch knickte auf seiner Reise zum Ziel weg, berührte aber nicht den Boden, sondern geriet in eine Drehbewegung und raste auf demselben Weg wieder zurück.
Ich sah das Gesicht des Arabers, in das sich der Schrecken nahezu eingemeißelt hatte. Die weit geöffneten Augen, der ebenfalls offene Mund, aus dem kein Schrei drang.
Dafür hörten wir einen wuchtigen Laut.
Der Dolch hatte sein Ziel gefunden und war tief in die Brust des Arabers eingedrungen. Der Mann kippte nach hinten, drehte sich dabei zur Seite und prallte auf einen niedrigen Tisch, den er mit einer zuckenden Armbewegung abräumte, so daß ein Aschenbecher und ein Blumengesteck zu Boden fielen. Der Araber fiel ebenfalls. Mit dem Kopf prallte er in die Blumen. Seine Arme fuhren hoch.
Er versuchte noch, mit den Händen nach dem Dolchgriff zu fassen, um die Waffe aus seiner Brust zu zerren, es gelang ihm nicht. Auf dem Weg zum Ziel erschlafften die Hände, und seine Arme blieben wie Stöcke neben dem Körper liegen.
Ich war wachsbleich geworden. Ich merkte auch das Zittern in meinen Knien, hörte Tanner schnaufen, drehte mich aber nicht um, weil ich Suko zuschaute, der sich soeben erhob. Mein Freund konnte es kaum fassen, daß es ihn nicht erwischt hatte, deshalb galt sein erster Blick dem Dolchwerfer.
Der Mann mit dem Pferdeschwanz war tot. Ausgelöscht durch seine eigene Waffe. Allerdings hatte er sie sich nicht selbst in die Brust gerammt, dafür war eine andere Kraft verantwortlich.
Da gab es eigentlich nur einen…
Als hätten wir uns abgesprochen, so drehten wir uns um, und wir sahen den Jungen mit den goldenen Augen. Er hatte Shaos Hand ergriffen, ging neben ihr her, als wäre sie seine große Schwester, die ihn beschützen sollte.
Niemand sprach. Es herrschte eine bedrückende Stille, in die die Kälte des Todes hineinkroch. In dieser Stille klang das Schließen der Suitentür doppelt so laut. Tanner hatte die kleine Wohnung ebenfalls betreten, ging an mir vorbei, und sein Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck. Neben den beiden Toten blieb er für einen Moment stehen. Ein Mann wie Tanner verfügte über Erfahrung.
Wenn er den Kopf schüttelte, war das so etwas wie eine Bestätigung.
»Sie sind beide tot«, sagte er mit leiser Stimme, in der kein Vorwurf mitschwang.
Suko faßte die Worte trotzdem so auf. »Es war Notwehr«, murmelte er. »Er oder ich.«
»Das ist klar.«
Wir hätten vielleicht weiter gesprochen, aber Shao und der Junge lenkten uns ab. Nur Shao schauderte zusammen, als sie auf die Leichen schaute, der Junge tat nichts. Er nahm sie gar nicht zur Kenntnis, er ging mit Shao an der Hand weiter, als wäre nichts passiert. Sie blieben neben dem Bett stehen, denn da wollte der Junge mit Shao reden. Er flüsterte etwas, und Shao hob die Schultern.
»Was hat er gesagt?« wollte ich wissen.
»Nichts von Bedeutung. Er möchte nur nicht, daß die beiden Toten hier im Raum bleiben.«
»Das wird sich kaum ändern lassen.« Ich stand noch immer unter den Nachwirkungen des leichten Schocks. Die Lage war einfach zu plötzlich eskaliert, und als ich Chief Inspector Tanner bittend anschaute, da wußte dieser, was seine Pflicht war.
»Ich werde die beiden Toten abholen lassen.«
»Gut.«
Suko trat dicht an mich heran. »Ich verstehe nicht, was er mit Shao so intensiv zu tun hat. Die beiden machen mir den Eindruck, als wären sie die besten Freunde.«
»Vielleicht sind sie das. Er hat ihr schließlich das Leben
Weitere Kostenlose Bücher