0886 - Der U-Bahn-Schreck
Person erzählen, die die Leiche nach dem Selbstmord an sich genommen hat.«
»Falls sie es nicht gewesen ist.«
»Auch das, Mr. Polvera.« Er war sprachlos und zugleich froh, daß sein Besuch bei uns nicht umsonst gewesen war.
Ich kam noch meiner Pflicht nach und rief bei Sir James an, um ihn zu informieren.
»Dann war es also kein Schlag ins Leere.«
»Wir werden sehen, Sir.«
»Gut, schauen Sie sich um. Und denken Sie daran, einen Nachahmer des Doktor Frankenstein brauchen wir hier nicht unbedingt.«
»Sir, ich werde mich daran erinnern…«
***
Wenn eine Frau wie Sarah Goldwyn, auch Horror-Oma genannt, allein in die City fuhr, um sich dort mal wieder in den Geschäften umzuschauen, dann fuhr sie natürlich nicht mit dem eigenen Wagen. Sie nahm entweder ein Taxi oder verließ sich auf die U-Bahn.
In diesem Fall war es die U-Bahn, der sie vertraute. Sarah Goldwyn wohnte zusammen mit der Detektivin Jane Collins in Mayfair, und dort stieg sie auch ein, um direkt ins Zentrum zu fahren, Station Piccadilly.
Jane hatte erst mitkommen wollen, aber Lady Sarah hatte sich vehement dagegen gewehrt. »Merk dir eines, mein Kind«, hatte sie gesagt, »Weihnachtsgeschenke suche ich grundsätzlich immer allein aus. Da lasse ich mir von niemandem reinreden.«
»Geschenke?«
»Ja.«
»Auch für mich?«
»Mal sehen.« Die Horror-Oma hatte Jane im unklaren gelassen, und auch ihrem letzten Versuch hatte sie widerstanden, weil Jane davon sprach, wie gefährlich es für eine alleinstehende ältere Frau war, mit der U-Bahn zu fahren.
»Überfallen werden kann ich auch auf der Straße«, hatte sie erklärt und war gegangen.
Eine rüstige Frau um die Siebzig, und eine Person, die nicht grundlos den Spitznamen Horror-Oma trug, denn sie beschäftigte sich mit allem, was auch nur entfernt nach Okkultismus, Mythik und Mystik roch, wobei auch das Gruselige zählte, was sie in Schrift, Ton und Bild zu Hause bei sich gesammelt hatte und was mittlerweile zu einem Archiv geworden war, das sich sehen lassen und ohne einen Computer nicht mehr geführt werden konnte. Dafür aber sorgte Jane Collins, die bestens Bescheid wußte, und sich an diesem späten Vormittag noch mit der Auflistung einiger alter Denkmale beschäftigen wollte.
Lady Sarah hatte mittlerweile die Station erreicht und wartete auf den Zug. Sie gehörte zu den Menschen, die derartige Orte liebten. Da war immer etwas los. Ob an Bahnhöfen, Flughäfen oder eben in U-Bahnstationen, etwas lief immer weg von der Eintönigkeit des Lebens, obwohl sie zugeben mußte, daß diese Station hier in Mayfair nicht eben durch pralles Leben glänzte.
Hier lief der Betrieb noch etwas beschaulicher ab, zumindest zwischen den Stoßzeiten, wo nicht mehr so viele Passagiere zu den Arbeitsstellen oder zurück fuhren.
Auch lichtscheues Gesindel hielt sich hier zurück. Das war nicht die Gegend für einen schnellen Überfall. Da eignete sich der Betrieb in den großen Stationen besser. Hinzu kamen die Polizeikontrollen, Streifen, die plötzlich erschienen - nie zu denselben Zeiten -und deshalb überraschten. Selbst die Wände zeigten kaum Schmierereien, und auch der Boden war relativ sauber.
Lady Sarah hatte ihren Platz auf einer Bank gefunden. Zwei Minuten Wartezeit, die wollte sie nicht unbedingt abstehen. In ihrem Alter hatte sie einen Sitzplatz verdient.
Unter dem Mantel trug sie ein wollenes Kleid. Der Schnitt war schlicht, der Stoff war von aschgrauer Farbe, aber die Ketten vor ihrer Brust schimmerten bunt wie das Gefieder eines tropischen Vogels. Für ihre Ketten war Sarah berühmt. Darauf ließ sie auch nicht! kommen. Sie liebte diesen Mo-Modeschmuck. Wer sie nicht ankommen sah, der hörte die wenigstens, denn das Klingeln der Ketten begleitete ihren Weg.
Um die Geschenke drehten sich ihre Gedanken nicht. Sarah ging einfach davon aus, daß sie schon etwas finden winde. Wenn sie an den Schaufenstern der Geschäfte entlangging und sich die Auslagen anschaute, würde ihr schon die passende Idee kommen.
Sie machte sich dafür um andere Dinge Sorgen.
In der letzten Zeit war es ihr eigentlich zu ruhig gewesen. Sie gehörte zu den Menschen, die Action haben mußten. Manchmal ärgerte sie sich darüber, daß sie nicht mehr über die Fälle des Geisterjägers John Sinclair erfuhr und selbst mitmischen konnte, schließlich war sie mit ihm befreundet, ebenso wie Jane Collins. Oft genug war sie um Rat gefragt worden, aber sie hatte sich auch mitten in den dämonischen Trubel, wie sie ihn
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