0886 - Der U-Bahn-Schreck
weiter.
Welche Geschenke würden das wohl sein?
Eine CD? Klamotten? Schmuck? Leerkassetten für den Video-Recorder?
Ein Parfüm, ein herber Duft und…
Gerade der letzte Gedanke brachte Sarah etwas aus dem Konzept.
Dieser ungewöhnliche Geruch war ihr schon zuvor aufgefallen, denn er hatte alle anderen Gerüche im Wagen überlagert. Und wenn sie nicht alles täuschte, dann strömte die neben ihr sitzende junge Frau den Geruch ab. Oder war es ihre Kleidung? Wonach roch sie denn? Nun ja, sie roch zumindest nicht frisch, als hätte sie vergessen, ihre Kleidung zu waschen oder zu reinigen. Nein, das war es auch nicht. Der Geruch war irgendwie anders. Auch nicht so muffig, sondern eher schmutzig, als hätte die junge Frau mit ihrer Kleidung auf einem dreckigen Boden gelegen und die Sachen nur nachlässig gereinigt.
Ja, das kam schon eher hin.
Lady Sarah wollte sich nicht so auffällig benehmen. Die Kinder und deren Lärm hatte sie vergessen. Sie schaute die neben ihr sitzende Person von der Seite her an und sah auch einen Teil des Halses, denn der Kragen des Mantels stand nicht hoch.
Eine Kette umhing den Hals. Kein wertvoller Schmuck. Durch kleine Steine war ein Lederband gezogen worden. Die Steine waren unterschiedlich in der Form und in der Größe.
Unter der Kette schimmerte etwas hindurch. Es war ein roter Streifen und er sah aus wie eine Narbe! Eine Operationsnarbe.
Seltsam…
Sarah, einmal mißtrauisch und zugleich interessiert geworden, forschte weiter. Diese junge Frau war nicht nur ungewöhnlich, sie war ihr plötzlich auch unheimlich geworden. Das allerdings hatte mit der Narbe nichts zu tun, es lag an anderen Dingen.
Was war ihr noch aufgefallen und hatte sie stutzig werden lassen? Sarah Goldwyn überlegte. Die Gedanken, stachen dabei durch ihren Kopf. Sie bewegte ihre Lippen, als würde sie zu sich selbst sprechen. Sie hatte es auf der Zunge, sie…
Noch einmal von vorn.
Die fremde Person saß still und regungslos neben ihr. Sie dachte gar nicht daran, sich zu bewegen. Sie ließ alles mit sich geschehen, sie kümmerte sich um nichts, nicht mal um sich selbst. Sie saß einfach nur da, ohne etwas zu tun, ohne zu…
Plötzlich fuhr die Flamme der Erkenntnis durch Sarahs Gedankenwelt.
Sie wollte es zuerst nicht glauben, doch es stimmte.
Die Frau neben ihr hatte sich nicht bewegt, sie hatte auch etwas anderes nicht getan, was für ein Lebewesen unerläßlich war. Sie hatte nicht geatmet.
***
Ein Mensch, der lebte und nicht atmete! Gab es das? War so etwas möglich?
Ein normaler Mensch hätte dies bestritten, hätte darüber gelacht. Nicht so Sarah Goldwyn. Sie sah sich zwar nicht als unnormal an, aber sie verfügte über gewisse Erfahrungen, und die hatte sie den meisten Menschen voraus.
Erfahrungen mit dämonischen Geschöpfen. Mit den schlimmsten, die man sich vorstellen konnte, unter anderem auch mit lebenden Leichen, mit den Zombies.
Sie sahen oft aus wie normale Menschen, aber sie atmeten nicht.
So wie die Frau!
War sie ein Zombie?
Als Lady Sarah sich diese Frage gestellt hatte, da spürte sie, daß keine Panik in ihr hochkeimte, was normal gewesen wäre, nein, sie wurde innerlich eiskalt. Ob Zufall, Schicksal oder was auch immer sie mit diesem weiblichen Zombie zusammengebracht hatte, sie mußte auf jeden Fall die Nerven und die Kontrolle über die andere Person behalten.
Keine Panik jetzt, abwarten und schauen, wie sich die Dinge entwickelten.
Zuhilfe kam ihr der nächste Halt. Der Zug rollte in die Station ein, die Kinder lärmten wieder lauter. Sie waren froh, aus der Dunkelheit der Röhre gerissen worden zu sein, drückten ihre Gesichter an den Scheiben platt, schauten hinaus und winkten heftig irgendwelchen fremden Personen zu.
Kinder, dachte Sarah. Und neben mir hockt ein Zombie, möglicherweise.
Die Wagenschlange hatte gestoppt. Fahrgäste stiegen ein und aus, aber die Kinder blieben im Wagen. Sie fuhren weiter. Sarah glaubte, daß sie auch zum Piccadilly wollten. Einige ihrer Bemerkungen wiesen darauf hin.
Und die Person neben ihr?
Sie wußte es nicht. Die Frau rührte sich nicht. Nur ihre Augen befanden sich in Bewegung. Sie schauten mal nach links, dann wieder nach rechts, als wären sie dabei, nach einem Opfer zu fahnden, doch zum Glück bewegte sie sich nicht.
Sarah konzentrierte sich auf den Mund. Sie wollte mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen, ob diese Person tatsächlich nicht atmete und einfach nur so existierte wie ein Roboter, der eine menschliche
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