0887 - Das Horror-Pendel
Kamins. Er saß in einem braunen Ledersessel und winkte kurz, als Stahl auf ihn zuging. Dann stand er auf und bedeutete Harry, bei ihm Platz zu nehmen. Vorgestellt hatte er sich als Herr Brinkmann, was sicherlich nicht sein echter Name war. Harry nahm den Geruch des frischen Tannengrüns wahr, der sich mit dem Duft des Kaffees mischte, den ein Kellner servierte.
Harry bestellte ebenfalls eine Kanne Kaffee, was Brinkmann mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. »Er ist hier wirklich gut, das kann ich Ihnen versichern.«
»In diesem Hotel ist sowieso alles optimal.«
»Stimmt. Sie sind zum erstenmal hier?«
»Ja.« Brinkmann lächelte. »Bestimmt nicht zum letztenmal. In ihrem Job werden sie in vielen Hotels wohnen, das kann ich Ihnen versichern.« Brinkmann sprach nicht sehr laut, eher leise, aber gut verständlich. Er war ein Mann mittlerer Größe, trug einen aschgrauen Anzug, ein weißes Hemd, dazu eine dezent gestreifte Krawatte und fiel ansonsten nicht auf. Ein grauer Mäuserich mit sorgfältig gescheiteltem grauen Haar und einem Durchschnittsgesicht.
Man übersah Menschen wie Brinkmann einfach.
»Nun ja, Herr Stahl, Sie werden sich gewundert haben, daß wir Sie nach Hamburg kommen ließen, aber ich will Ihnen gleich sagen, daß diese Stadt in den nächsten Tagen wohl ihr Zuhause bleiben wird, denn die Fälle, um die es geht, haben sich allesamt hier in Hamburg abgespielt.«
»Fälle?«
»Ja.« Da Harrys Kaffee serviert wurde, unterbrach Brinkmann seine Rede und sprach erst weiter, als sich der Ober zurückgezogen hatte. Brinkmann hatte die Hände ausgestreckt und die Fingerspitzen gegeneinander gelegt. Die Ellenbogen stützte er auf seine Oberschenkel. »Wie ich schon erwähnte, es geht um Fälle, die hier in Hamburg vorgefallen sind und in diesem Jahr auch einen akuten Nachfolger bekommen haben.«
Stahl runzelte die Stirn. »Kann es sein, daß Sie noch in Rätseln sprechen, Herr Brinkmann?«
»Bestimmt.« Er zeigte ein dünnes Lächeln. »Ich werde sofort konkreter werden. Uns ist aufgefallen, vielmehr dem Computer, daß in den vergangenen fünf Jahren in einem bestimmten Moment, im Dezember, immer wieder Menschen verschwunden sind. Sie können einwerfen, daß das in einer Millionenstadt nicht ungewöhnlich ist, ich würde Ihnen auch recht geben. Nur wenn man sich die Vita der Verschwundenen anschaut, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln, denn diese Männer hatten einfach keinen Grund, ihre Frauen, Kinder, sprich Familien im Stich zu lassen. Sie lebten, wie man so schön sagt, in geordneten Verhältnissen, aber sie verschwanden und tauchten nie wieder auf. Weder als Lebende noch als Tote.«
Harry probierte von seinem Kaffee, war zufrieden und meinte dann: »Die Elbe hat doch eine kräftige Strömung…«
»Daran haben wir natürlich auch schon gedacht, Herr Stahl, aber es ist keine Leiche angeschwemmt worden, auf die die Beschreibung eines der Verschwundenen gepaßt hätte.«
Stahl schaute in die Flammen. Sie huschten über das Holz wie Geister. »Sprachen Sie von fünf verschwundenen Personen?«
»Ich muß mich korrigieren. Es sind mittlerweile sechs. Es liegt noch eine Vermißtenanzeige vor. Es handelt sich ebenfalls um einen Mann. Er heißt Heinz Hollmann und hat seine Wohnung mitten in der Nacht verlassen, ohne seiner Frau Bescheid zu geben, die in einem anderen Zimmer schlief. Am Abend zuvor war er noch mit seinen Freunden kegeln, und anschließend haben sie den Dom besucht.«
»Bitte?« Harry war etwas irritiert. »Eine Kirche?«
Brinkmann gestattete sich ein leises Lachen. »Nein, ›der Dom‹ ist hier in Hamburg das größte Volksfest Norddeutschlands. Ein Jahrmarkt für die Dauer von vier Wochen. Er beginnt im November und geht bis weit in den Dezember hinein.«
»Danke für die Aufklärung. Da merkt man, daß einem noch etwas fehlt, wenn man aus dem Osten kommt.«
»Das lernt man schon.«
»Kommen wir noch einmal auf den Dom zurück. Warum haben Sie gerade ihn erwähnt.«
Brinkmann ließ sich etwas Zeit. »Ich arbeite nicht gern mit den Mitteln der Spekulation, in diesem Fall allerdings bleibt mir nichts anderes übrig. Die sechs Männer sind alle während dieses Volksfestes verschwunden.«
»Zufall!«
»Kann, muß aber nicht sein.«
Harry setzte nach. »Dann glauben Sie also, daß das Verschwinden der Männer mit diesem Jahrmarkt zu tun hat. Oder sehe ich das falsch?«
»Ein wenig schon«, gab Brinkmann zu. »Ich glaube nicht daran, sondern sage, daß es sein
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