0888 - Bis die Würmer dich zerfressen
und machte den Eindruck eines Menschen, der jeden Augenblick in die Höhe springen wollte und sich nicht traute.
Ich hielt das Kreuz fest.
Eine leichte Erwärmung des Silbers war zu spüren. Ein Zeichen dafür, daß sich die Gefahr verdichtet hatte.
Keiner von uns sprach. Auch der Abbé und Suko schauten gespannt zu, was ich mit dem Pfarrer tat.
Ich ging auf ihn zu.
Er sah mein Kreuz.
Und ich sah die Angst in seinen Augen, wobei ich den Eindruck hatte, nicht ihn, sondern den verfluchten Inquisitor Amero anzuschauen, dessen Geist sich nicht hatte vernichten lassen…
***
Heinz Hollmann hatte wach bleiben wollen, aber es war ihm nicht möglich gewesen. Die Ereignisse des vergangenen Abend hatten ihn zu sehr geschwächt. Die Natur forderte einfach ihr Recht, und so war er auf dem Rücksitz des Geländewagens eingeschlafen.
Es war der Schlaf der Erschöpfung. Tief und traumlos. Als hätte man ihn in einen tiefen Schacht gestoßen oder in einen dunklen See, dessen Wasser ihn wegtrieb.
Der Deutsche bekam nichts von dem mit, was sich außerhalb des Wagens abspielte. Er schlief, und die leisen Schnarchgeräusche durchbrachen die Stille.
Tief und fest, aber nicht zu lange!
Urplötzlich wurde er wach. Er schreckte hoch, als hätte ihm jemand einen Stoß versetzt. Dabei bewegte er seinen Kopf zu heftig nach vorn und prallte mit der Stirn gegen die Rückseite des Vordersitzes.
»Meine Güte, ich…« Die nächsten Worte blieben unausgesprochen. Er konnte nicht mehr reden, er wußte nicht, was mit ihm war, denn seine Stimme steckte irgendwo im Hals fest.
Er schüttelte sich. Sein rechtes Bein war eingeschlafen. Es konnte an der verkrümmten Haltung liegen. Die Decke war während des Schlafs teilweise von seinem Körper gerutscht, und er merkte, daß er fror. Er packte den Stoff und zog ihn wieder über sich, was nicht viel brachte, denn die Kälte kam von innen, obwohl es auch im Wagen nicht gerade warm war. Seine Schlafhaltung war ihm jetzt zu unbequem, und Hollmann setzte sich wieder normal hin.
Eingehüllt in die Decke, die Schultern schmal gemacht und nach vorn gebeugt. Die Wunden brannten und schmerzten. Sie strömten eine gewisse Hitze ab, und er fürchtete sich vor den Entzündungen.
Und er fühlte sich allein.
So verdammt allein, obwohl er eigentlich nicht allein war, denn er wußte, daß er Freunde hatte.
Nur waren sie nicht in seiner Nähe, nicht im Wagen. Und er konnte sie auch nicht sehen, denn die Scheiben waren durch seinen Atem und seine Ausdünstungen beschlagen.
Alle, nicht nur die Frontscheibe.
Hollmann atmete tief durch. Er verspürte einen brennenden Durst. Durch die Kehle schienen kleine Flammen zu tanzen. Um den Durst zu löschen, mußte er aussteigen. Zuvor schaute er auf seine Uhr.
Lange konnte er nicht geschlafen haben. Erfrischt fühlte er sich auch nicht. Seine Glieder waren schwer, einige schmerzten; das lange Liegen auf dem verdammten Steintisch hatte ebenfalls dazu beigetragen. So kam vieles zusammen, und Hollmann wünschte sich sehnlichst zurück nach Hamburg.
Er stopfte einige Falten der Decke in seinen Hosenbund, damit sie einigermaßen hing. Dann wandte er sich der rechten Seitentür zu und blickte durch die Frontscheibe.
Auch sie war beschlagen…
Beschlagen? Da bewegte sich etwas. Es wanderte nicht von der Scheibe weg, es bewegte sich in seiner gesamten Masse, rutschte nach unten, drang wieder höher, und Hollmann wischte über seine Augen.
Das ist nicht wahr, dachte er. Verdammt noch mal, das kann ich nicht glauben!
Er wollte es genau wissen und kletterte durch die Lücke zwischen den beiden Sitzen nach vorn.
Er merkte seine eigene Nervosität, er ahnte das Schreckliche und Unaussprechliche, er wollte es jedoch nicht wahr haben, aber er hatte auch John Sinclair zugehört.
Es konnte stimmen…
Er klammerte sich am Fahrersitz fest, zog die Beine nach und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Mit einem Seitenblick stellte er fest, daß der Schlüssel steckte, aber das interessierte ihn jetzt nicht, wichtig war einzig und allein die Scheibe.
Sie war nicht beschlagen. Weder von außen noch von innen. Jemand schien sie mit einem Tuch zugehängt zu haben, das sich leicht im Wind bewegte.
Er schüttelte den Kopf.
Das waren auch keine normalen Bewegungen, die der Wind durchführte, es zuckte und krabbelte, es wieselte und zitterte durcheinander, es war von unterschiedlicher Länge und Farbe, ein Gebilde, das sich Heinz nie hätte vorstellen können, nun aber akzeptieren mußte,
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