0889 - Eishauch des Todes
Genau wie der Drang, Nahrung zu sich zu nehmen.
Hin und wieder aß sie, ohne eigentlich zu wissen, warum. Sie benötigte keine Nährstoffe, keine Flüssigkeit… und doch tat sie es, denn es gehörte zu dem, was für sie den Inbegriff an Perfektion bildete: Menschlichkeit.
Die Augen in ihrem Gesicht, das sie noch immer im. Spiegel betrachtete, hatten sich ebenfalls weiter entwickelt. Sie waren keine hölzernen Murmeln mehr, starr und tot, sondern auf wunderbare Weise lebendig. Noch vor Tagen hätte sie das nicht für möglich gehalten.
Die Nase wiederum… das würde noch einige Zeit, vielleicht noch einige Morde in Anspruch nehmen. Sie bildete nur ein breites, schrundiges Ding, knubbelig und fast formlos, als habe sie einige brutale Schläge erhalten, die den Knochen zermalmt hatten.
Immer suchte sie nach Vergleichen, die ihr zeigten, dass es anderen genauso ergehen könnte wie ihr selbst. Die Frage brachte sie dazu, die große Frage ihrer Existenz, die über allem stand, wichtiger noch als ihr Streben nach Perfektion.
»Bin ich die einzige?«
Sie murmelte die Worte vor sich hin. Wenn sie das nur wüsste…
»Bin ich die einzige?«
Doch ihr Spiegelbild gab keine Antwort.
Sie presste die Lippen zusammen - sie waren weicher, wärmer und lebendiger als zuvor - ballte die Rechte zur Faust und hämmerte sie gegen das reflektierende Glas. Es zerbarst.
Splitter prasselten in das Waschbecken und zu Boden.
Ein scharfer Schmerz jagte durch die Finger.
Sie zog die Hand zurück. Ein scharfkantiges Glasbruchstück steckte im Handrücken. Doch es kam kein Blut.
Natürlich nicht. So sehr ihr Herz auch schlug, es kam kein Blut.
Mit Daumen und Zeigefinger der Linken zupfte sie den Splitter heraus, ließ ihn zu den anderen ins Becken fallen, wandte sich ab und verließ das kleine Badezimmer.
Es war Zeit, wieder auf die Suche zu gehen. Im Dunkeln… denn noch durfte keiner allzu genau in ihr Gesicht blicken.
Noch nicht.
***
»Was sollte die kleine Demonstration?«, fragte Pierre Robin.
Professor Zamorra saß neben dem Chefinspektor in dessen Privatwagen und verschränkte die Hände im Nacken. Der Ellenbogen ragte aus dem geöffneten Fenster. »Du spielst auf die Sache mit Podhalanski an?«
»Ach komm, tu nicht so! Du hast ohne Not das Amulett mitten aus seinen Händen zu dir gerufen! Seit wann versuchst du die Leute zu beeindrucken wie ein Jahrmarktzauberer?«
Hinterher hatte sich Zamorra selbst darüber gewundert, was ihn in diesem Moment geritten hatte, doch er verspürte keine Lust, dies vor seinem Freund zuzugeben. »Ich glaube nicht, dass Podhalanski uns deswegen irgendwelche Schwierigkeiten bereitet, indem er zur Presse rennt oder die Story deinen Kollegen brühwarm serviert. Er zeigte sich einfach so offen, dass ich dachte, es könne nichts schaden, ihm ein wenig von der Wahrheit zu offenbaren… vom wirklichen Leben, du verstehst?«
Weiter kam er nicht.
Robin trat so heftig auf die Bremse, dass das Quietschen und Kreischen der Pneus schrill in den Ohren schmerzte.
Der Wagen schlingerte, brach hinten aus und stellte sich quer auf die Straße.
Der Chefinspektor fluchte.
Zamorra wurde so stark in die Gurte geworfen, dass er glaubte, einen brutalen Schlag mit einem Dampfhammer gegen den Brustkorb erhalten zu haben.
Hinter ihnen gellten Hupen und quietschten weitere Bremsen. Ein verbeulter Chevrolet zischte an ihnen vorbei. Zamorra erhaschte einen Blick auf ein schreckensbleiches, angespanntes Gesicht.
Endlich stand der Wagen. Alles um sie herum wirkte mit einem Mal besonders still.
Zamorras Herz schlug schneller und pochte schmerzhaft hart gegen die Rippen. Der Adrenalinstoß kribbelte in seinen Fingern. »Pierre, was sollte das?«
»Da war etwas… auf der Fahrbahn! Hast du es nicht gesehen? Ein…«
Als der Freund nicht weitersprach, fragte Zamorra: »Ein was?«
»Nichts, ich… ich hab's mir wohl eingebildet. Verdammte Müdigkeit! Seit einer Woche schlafe ich nicht mehr richtig, wenn überhaupt! Diese Mordserie raubt mir den letzten Nerv. Ich habe eben geglaubt, einen… du wirst es nicht glauben… Schleier zu sehen, aber - ich sag's nicht gern, aber mir sind schlicht und einfach die Augen zugefallen.«
»Dagegen gibt es eine ganz einfache Methode«, sagte der Meister des Übersinnlichen. »Du brauchst eine Pause. Überlass mir den Fall und leg dich auf's Ohr. Ich will dich in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht mehr sehen.«
Robin startete den Wagen wieder und lenkte ihn an den
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