0889 - Eishauch des Todes
Fahrbahnrand. Dort trommelte er mit den Fingern auf dem Lenkrad. »Jetzt weiß ich auch, warum sich Nicole immer über dich beschwert. Als Chef möchte ich dich nicht vor meiner Nase sitzen haben - dein Befehlston ist unerträglich.« Er lachte leise.
»Dumm nur, dass ich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr Nicis Chef bin.«
»Sie nennt dich immer noch so, und Gerüchte dringen bis in unsere hübsche Stadt, dass du…«
Den Rest dieses so genannten Gerüchts musste sich der Meister des Übersinnlichen zum Glück nicht mehr anhören, denn soeben heulte im Rückwärtsgang der verbeulte Chevrolet heran und stoppte direkt vor ihrer Kühlerhaube. Der Fahrer stieg aus, fuchtelte mit den Händen vor seiner Brust und klopfte dann mit wutverzerrtem Gesicht gegen die Fahrerscheibe.
Robin flüsterte Zamorra zu: »Der wird hier gleich pantomimisch das Rumpelstilzchen aufführen.« Er seufzte und öffnete die Scheibe.
»Hast du sie noch alle?«, tobte der Chevy-Fahrer denn auch prompt los. »Das war ja lebensgefährlich, Mann! Wenn ich nicht so verdammt schnell reagiert hätte, wäre ich dir voll aufgefahren! Ich ruf die Bullen, ja, das mach ich. Du bist ja wahnsinnig und…«
»… selbst ein Bulle.« Robin zückte lässig seinen Dienstausweis und hielt ihn dem inzwischen nicht mehr bleichen, sondern zornesroten Mittfünfziger vor die Nase. »Im Namen der Stadt Lyon entschuldige ich mich für Ihre Unannehmlichkeiten, Monsieur.«
Das nahm dem anderen die Luft aus den Segeln. »Wenn das so ist… nix für ungut.«
Robin grinste matt.
Der Chevy-Fahrer zog ab.
»Ich bring dich noch zum Tatort, Zamorra, dann statte ich diesem Jacques Leclerque, den der Kollege als angeblichen Täter verhaftet hat, einen kurzen Besuch ab und sorge dafür, dass er freigelassen wird. Danach folge ich deinem Rat und halte ein Nickerchen. Die Kneipe, hinter der der Mord geschah, liegt in der übelsten Gegend der Stadt. Der Wirt ist ein verhinderter Zuhälter, der sich im Obergeschoss ein einzelnes Schäfchen hält - mehr ist nicht drin. Die Kollegen haben schon lange ein Auge auf ihn geworfen, aber es gibt eben immer genug anderes zu tun. Du wirst allein zurecht kommen?«
»Schlaf dich aus und lass mich die Arbeit machen. Wenn du wieder auf den Beinen bist, wirst du mir eine größere Hilfe sein als… hm, als in den letzten fünf Minuten.«
»Botschaft ist angekommen«, meinte Pierre Robin miesepetrig und fuhr los.
***
»Klar könn'se sich das anschaun«, nuschelte André, der fette Wirt. »Isne Schande, wassa passiert is.«
Zamorra nickte scheinbar mitfühlend. »Ein Mord in einem ehrenhaften Etablissement ist immer sehr bedauerlich und möglicherweise geschäftsschädigend.«
»So isses, Mann. Sind mir sympathisch, echt - aber was wollnse da im Hof?«
»Abschied nehmen. Der Tote war mein Freund.« Der Meister des Übersinnlichen senkte den Blick.
Eine Hand mit dicken Wurstfingern patschte auf die Theke und schob dem Parapsychologen ein Schnapsglas hin, in dem eine winzige Menge Flüssigkeit schwappte. »Wenn dasso is. Dacht schon, Sie wärn'n Schnüffler.«
So vertrauensselig kann der Typ gar nicht sein, sonst könnte er sich in dieser Gegend nicht lange halten. Zamorra war davon überzeugt, dass André ihn immer noch einer genauen Musterung unterzog und wahrscheinlich überlegte, ob er ihm einen Rausschmeißer auf den Hals hetzen sollte.
Der Dämonenjäger ließ sich jedoch nichts anmerken und kippte den Schnaps hinunter, der in der Kehle brannte und ein schales Gefühl hinterließ, wie es nur billiger Fusel vermochte. »Schnüffler? Haben Sie denn was zu verbergen?«
»'Türlich nich. Also gehn Sie ruhig in'n Hof, Abschied nehmn.«
Der Parapsychologe klopfte mit dem Glas auf die Theke. »Danke. Und wenn ich wieder in der Gegend bin, schau ich bestimmt noch mal bei Ihnen rein. Ist schön hier.« Dabei machte er eine umfassende Handbewegung, sodass sein Finger erst auf das mit Fettflecken verschmierte Hemd des Wirts zeigte, dann auf die Fenster, von deren Holzrahmen die Farbe absplitterte, schließlich auf die verbrauchte und überschminkte Schwarzhaarige, der die üppigen Brüste aus dem zerschlissenen Shirt quollen.
Ohne dem Interieur noch einen weiteren Blick zu gönnen, ging er quer durch den Raum, stieß die Tür zu den Toiletten auf und betrat den schmutzigen gefliesten Flur. Er atmete flach durch den Mund, als ihm eine nicht gerade dezente Duftnote entgegenwallte. Erleichtert nahm den Ausgang zum Hinterhof.
Dass
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