0891 - Knochenklaue
ihren Gedanken und Überlegungen nicht zu stören. Sie mußte mit diesem unheimlichen Angriff fertigwerden und auch dessen Folgen verkraften. Hin und wieder fuhr sie mit ihren Händen zum Hals hoch und tastete dort die Druckstellen ab, die glücklicherweise schwächer wurden, wie ich mit einem raschen Blick erkannte.
Sie nickte mir zu und lächelte. »Das ist eben Natur. Alles schwächt sich ab. Aber man weiß ja nie, ob es sich wiederholt und wann es zurückkehrt.«
»Sie rechnen also damit?«
»Natürlich.«
»Das Wort hört sich an, als wüßten sie mehr.«
Die Frau runzelte die Stirn, schaute aus dem Seitenfenster, sah die weißen Dächer, hob die Schultern und seufzte.
Ich dachte darüber nach, was dieses Seufzen wohl bedeuten konnte. Wußte sie vielleicht mehr, als sie mir gegenüber zugegeben hatte? Das konnte möglich sein. Auch mir fiel es schwer, diese Person richtig einzuschätzen. Ich kannte sie nicht, sie war für mich eine Fremde. Ich wußte nicht, welches Leben sie geführt hatte, aber ich nahm ihr den Angriff ab. Die Druckstellen am Hals hatte sie sich bestimmt nicht selbst zugefügt. Da mußte schon etwas gewesen sein. Einen Angreifer hatte ich nicht gesehen. Wenn ich mir ihr Verhalten noch einmal durch den Kopf gehen ließ, dann hatte sie nicht geschauspielert. Sie war attackiert worden und fragte sich, wer das getan hatte. Ein rätselhafter und gefährlicher Fall. Schließlich hatte sich die Frau in Lebensgefahr befunden. Ich dachte daran, daß das Jahr gut anfing und ich meinen Zeitplan wohl kaum einhalten konnte. Es würde sicherlich noch einen oder auch zwei Tage dauern, bis ich in London eintraf, denn ich hatte mich entschlossen, zunächst einmal in der Nähe dieser Frau zu bleiben und damit auch in Ripon, der liebenswerten Kleinstadt. Um einzukaufen, brauchte man nicht unbedingt in eine der größeren Städte zu fahren. Es gab hier alles, was der Mensch brauchte. Ich hatte einen Supermarkt gesehen, aber auch mehrere kleine Geschäfte.
»Wo möchten Sie hin, Donata?« fragte ich. Wir hatten abgemacht, uns mit den Vornamen anzureden.
»Wenn Sie mich nach Hause bringen könnten.«
»Gern. Sie müssen mir nur sagen, wohin ich fahren soll.«
»Ins Geschäft.«
»Also nicht nach Hause?«
Sie lächelte und schüttelte dabei den Kopf. »Ich wohne dort. Meine Wohnung liegt über dem Geschäft.«
»Das ist etwas anderes. Und wie geht es Ihnen?«
Sie hob die Schultern. »Das erzählte ich Ihnen später.« Sie erklärte mir den Weg. Wir mußten von der Hauptstraße abfahren, rollten durch eine schattige Seitengasse, auf deren Belag Eis schimmerte, gerieten wieder in eine belebtere Gegend, überquerten langsam einen mit Bäumen bewachsenen Platz, den die Straße praktisch in zwei Hälften teilte, mußten dann nach links und rollten in die Straße, in der Donata wohnte. »Das Geschäft liegt auf der linken Seite.«
»Okay.«
Bei dieser kalten Witterung ging man nur aus dem Haus, wenn es unbedingt sein mußte. Ein friedlicher Ort, in dem wir uns bewegten, und trotzdem wollte ich nicht so recht an diesen Frieden glauben. Ich empfand ihn als trügerisch. Auch die neben mir sitzende Frau fühlte sich nicht besonders wohl, wie ich an ihrem Verhalten feststellte. Sie war sehr ruhig, sie starrte vor sich zu Boden, hatte die Stirn gerunzelt. Manchmal hob sie den Kopf, schaute nach draußen, als wäre sie dabei, etwas Bestimmtes zu suchen, aber sie fand nichts.
Ich hatte sie nicht weiter nach dem Grund ihres Besuches auf dem Friedhof gefragt, wollte dies allerdings nachholen, denn es konnte durchaus sein, daß es zwischen ihm und dem Angriff einen Zusammenhang gab. Kannte ich ihn, dann hatte ich auch die Lösung.
»Fahren Sie jetzt bitte langsamer, John, wir sind gleich…«
Ich wußte, was sie hatte sagen wollen, obwohl sie nicht weitersprach, denn vor uns bewegte sich plötzlich eine Frau. Sie stürzte aus einer offenen Tür hervor, rannte kurzerhand über den Gehsteig und dachte nicht mehr daran, daß ihm noch eine Straße folgte, auf der auch Autos fuhren.
Die Person geriet ins Stolpern.
Ich hörte, wie Donata McBain den Namen »Ann« rief, dann mußte ich aufpassen, weil es plötzlich wieder glatt wurde.
Vorsichtiges Bremsen…
Stotternd, kein Rutschen.
Ich hörte das Grummeln der Winterreifen, dann stand der Rover.
Die Frau hatte ich nicht erwischt. Sie hatte die Straßenmitte erreicht, wo sie gestolpert und dann zusammengebrochen war.
Donata McBain kannte die Frau. Sie hatte bereits
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