0891 - Knochenklaue
bekamen Sie plötzlich keine Luft mehr?«
»Nein, Mr. Sinclair, so ist es nicht gewesen. Ich habe nur die Puppe gesehen, wie Sie plötzlich in der Luft schwebte. Dabei vernahm ich auch das Knirschen, als man ihr«, sie stockte, »den Hals umdrehte.«
»Und das Flüstern oder Kichern blieb?«
»Nicht direkt oder nicht so laut. Es verschwand dann wieder. Ich bin dann auch geflüchtet.« Sie wandte sich an Mrs. McBain. »Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich.«
»Danke.« Ann Cordy stand auf. Sie holte ihren Mantel, der an einem Haken zwischen zwei Regalen in einer Lücke hing. Bei mir verabschiedete sie sich mit einem scheuen Nicken, mit ihrer Chefin flüsterte sie noch, denn Mrs. McBain brachte sie zur Tür. Sie umarmte ihre Angestellte noch einmal, dann ging Ann weiter, und die Frau kehrte zu mir zurück, nachdem sie die Tür abgeschlossen hatte.
Kunden, die vorbeiliefen, sahen das Schild, schüttelten die Köpfe und gingen weiter.
Ich hatte die zerstörte Puppe auf die Verkaufstheke gelegt und dabei Kopf und Körper nahe zusammengebracht. Verlegen blieb Donata McBain neben mir stehen. »Es tut mir leid«, sagte sie, »daß wir Ihnen so viele Unannehmlichkeiten bereitet haben, aber manchmal kommt eben alles zusammen.«
»Das waren keine Unannehmlichkeiten, Donata. In einer Hinsicht bin ich sogar froh, daß ich Sie getroffen habe.«
»Das versteh ich nicht. Wie kommen Sie darauf?«
»Sagen wir mal so. Ich bin jemand, der sich für gewisse Phänomene interessiert.«
»Auch für so etwas?«
»Natürlich.«
»Aber es gibt keine Lösung. Ann und ich müssen damit fertig werden, und wir müssen auch damit rechnen, daß sich gewisse Dinge wiederholen. Sie wissen schon, was ich meine.«
»Das ist klar. Jemand hat es auf Sie beide abgesehen. Eine Person, die für uns nicht sichtbar ist. Die allerdings genau weiß, so Sie sich aufhalten.«
»Leider.«
»Sie und Ann müssen eine Beziehung zu der Person gehabt haben. Oder die zu Ihnen.«
Das begriff Mrs. McBain nicht. »Wie haben Sie das denn genau gemeint, John?«
»Ich weiß es noch nicht. Der Vorfall ist mir noch ein großes Rätsel. Mag Ihnen dieses Rätsel auch noch so unlösbar erscheinen, es gibt immer ein Motiv, auch für Vorgänge, die man zunächst nicht begreift.«
Die Frau wunderte sich. »Himmel, John, Sie sprechen, als wüßten Sie darüber mehr.«
»Das kann sein, aber ich weiß leider nicht genug. Es steht fest, daß man Sie bedroht. Die Umstände will ich außer acht lassen. Sie jedenfalls befinden sich in einer Gefahr.«
»Das streite ich nicht ab.«
»Also brauchen Sie Schutz oder jemand, der Sie vor dieser Gefahr warnt, sollte sie denn zurückkommen.«
»Gut gesagt, John. An wen soll ich mich wenden? An unsere beiden Polizisten hier in Ripon?« Sie schlug die Hände zusammen. »Die würden mich nur auslachen, wenn ich denen meine Geschichte erzähle. Ich denke, damit komme ich nicht durch. Auch ich würde lachen, wenn mir jemand so etwas erzählen würde.«
»Das kann Ihnen keiner verübeln.«
»Also ist es mit dem Schutz Essig.«
»Nicht ganz, Donata. Ich wüßte schon jemand, der etwas auf Sie achten kann.« Als sie mein Lächeln sah, schaute sie noch genauer hin und holte tief Atem.
»Sie etwa?«
»So ist es.«
»Nein, nein!« rief sie laut. »Das ist unmöglich. So etwas kann ich nicht annehmen. Sie sind zufällig vorbeigekommen, Sie waren auf der Durchreise, Sie müssen weiter nach London…«
»Das stimmt alles, Donata«, unterbrach ich sie. »Aber mich drängt dabei niemand. Ich bin relativ unabhängig.«
»Ach ja?«
»Außerdem interessiert mich der Fall.«
Damit kam sie nicht zurecht. Sie verstand nicht, wie jemand Interesse an unheimlichen Dingen haben konnte, und sie wiederholte das auch mehrmals. Ich deckte meine Karten daraufhin nicht ganz auf, aber sie war beruhigt, als sie hörte, daß ich Polizist war und sogar für die bekannte Institution Scotland Yard arbeitete. Trotzdem versuchte die Frau es noch mit einem Einspruch. »Bitte, John, Sie sind zwar Polizist, aber das hier ist ein Fall, der die Grenzen überschreitet.«
»Ich weiß es.«
»Da kann kein einfacher Polizist, also nichts gegen Sie…« Abwehrend hob sie die Arme.
»Ich kann Ihre Besorgnis verstehen, Donata, aber verlassen Sie sich darauf. Ich gehöre zu den Menschen, die so etwas nicht zum erstenmal erleben.«
»Was mir passierte?«
»Auch andere Dinge.«
Das begriff sie nicht. Es lagen ihr zahlreiche Fragen auf der Zunge, aber nicht eine
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