0891 - Knochenklaue
hatte. »Ich will es versuchen, aber es ist nicht einfach für mich.«
»Das glaube ich dir. Versuche es trotzdem.«
»Ja, das ist okay.« Sie suchte nach Worten, dann platzte sie plötzlich hervor. »Ich war nicht allein. Hier hat sich etwas aufgehalten.«
»Ein Kunde?«
»Auch, aber das war es nicht allein.«
»Sondern?«
Ihr Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. »Ich kann es nicht genau erklären, denn es hat ja eigentlich keinen gegeben, und es war trotzdem jemand da.« Sie schluchzte auf und mußte über ihre eigenen Worte den Kopf schütteln.
Donata warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Ich hatte sehr wohl aufgepaßt und dachte daran, daß Ann Cordy im Prinzip das gleiche Phänomen erlebt hatte wie ihre Chefin. Das setzte ich voraus, obwohl ich bisher nur wenig wußte.
Ich ging sehr behutsam vor, als ich Ann ansprach. »Ich möchte mich ja nicht unbedingt einmischen, Ann«, sagte ich, »aber Ihre Chefin hat mich gebeten, etwas nachzuforschen. Ich hänge gewissermaßen mit drin. Auch das, was Mrs. McBain erlebt hat, entspricht nicht eben der Normalität.«
»Was hat sie denn erlebt?« fragte Ann.
»Darüber werden wir später reden. Zunächst sind Sie an der Reihe, wenn Sie möchten.«
»Ja, das möchte ich. Das muß ich einfach sagen. Ich möchte es loswerden.«
»Wir hören zu.«
Donata McBain kehrte von der Tür zurück, wo sie das Schild »closed« aufgehängt hatte. Jetzt war das Geschäft geschlossen, uns würde niemand stören.
»Hat es mit der zerbrochenen Puppe zu tun?« stellte ich die erste Frage.
Ein heftiges Nicken war die Antwort. »Aber damit hat es nicht begonnen, Mister…«
»Ich heiße John Sinclair.«
»Ah ja…«
»Fangen Sie einfach von vorn an.«
Ann Cordy sammelte sich noch einmal, dann fing sie an zu reden. Sie sprach leise, sie war auch sehr nervös, denn immer wieder schabten ihre Handflächen aufeinander, als wollte sie sich den Schweiß abwischen. Wir erfuhren, daß das unheimliche Treiben schon begonnen hatte, als eine Kundin, Mrs. Lancaster, im Geschäft gewesen war. Sie legte eine Pause ein und redete weiter, als sie feststellte, daß keiner von uns sie ansprach. So erfuhren wir intervallweise alles, was sie erlebt und auch durchlitten hatte. Bis zu dem Augenblick, als sie auf die Straße gerannt war. Das Reden hatte Ann angestrengt, in ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen, und der Mund zuckte.
»Das glauben Sie mir alles nicht, wie?«
»Doch, wir glauben Ihnen, Ann«, sagte ich.
»Diesen Unsinn?«
»Ist es Unsinn?«
Ann verzog den Mund. »Ich weiß es nicht. Ich weiß doch nicht, ob ich mir alles eingebildet habe, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Bin ich denn hysterisch?«
»Sicherlich nicht. Die beiden Teile der Puppe reden schließlich eine deutliche Sprache.«
»Ja, da haben Sie recht.«
»Es war also jemand hier.«
Ann schaute mich an. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ich wandte mich ab. Beide Teile der Puppe hob ich auf. Den Kopf hielt ich in der linken, den Körper in der rechten Hand. »Er wurde also regelrecht abgedreht, sage ich mal.«
»So ist es gewesen«, flüsterte sie. »Ich habe sogar das Knirschen deutlich gehört.« Sie wies auf den Kopf. »Aber vorher hörte ich noch etwas anderes. So ein komisches Geräusch.«
»Können Sie das genauer beschreiben?«
»Ja, kann ich«, murmelte sie nickend. »Es war ein Flüstern. Ein häßliches Flüstern, aber ich habe niemanden gesehen. Das Flüstern umschwebte mich. Es tanzte hier durch den Raum. Es war einfach grauenhaft.«
»Haben Sie etwas verstanden?«
»Nein.«
»War da noch was?«
»ja - kichern.«
»Kichern und flüstern?«
»Mehr Kichern«, gab sie zu.
Ich wartete einen Moment. Als sie nichts hinzufügte, fragte ich: »Angegriffen worden sind Sie nicht - oder?«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Man hat Sie nicht körperlich attackiert?«
»Nein. Dafür hat man mir eine schreckliche Angst eingejagt. Ich habe die Nerven verloren und bin aus diesem Geschäft geflohen.«
»Das ist verständlich.«
»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich komme damit nicht zurecht. Das Geschäft hier…« sie schaute Donata an, die etwas im Hintergrund stand, »ist verhext.«
Mrs. McBain schwieg. Sicherlich dachte sie ebenso, aber ich war mit meiner Fragerei noch nicht am Ende, auch wenn es Ann möglicherweise nervte. »Sagen Sie, Ann, hat man Sie bedroht? Wollte man Sie vielleicht sogar töten? Aus dem Unsichtbaren heraus. Spürten Sie körperlich einen Schlag, hat man Sie gewürgt,
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