0897 - Monster-Maar
Rente. Und zwar ihrer Rente! »Nimm doch nur mal diesen Schrei von letzter Nacht«, sagte sie stattdessen. »Ich kann es mir nicht erklären, aber er klang so… verzweifelt. So fremd und doch auf eine Art vertraut, die ich gar nicht in Worte fassen kann.«
»Fremd und vertraut, alles klar.« Der weißhaarige Kommissar schob die Unterlippe vor und nickte entschlossen. »Sonst noch was? Laut und gleichzeitig leise vielleicht? Heiß und kalt? Dick und doof?«
Er lachte lauthals über seinen eigenen Witz; so sehr, dass sein beträchtlicher Bierbauch unter dem Uniformhemd bedrohlich wackelte. Astrid warf Baumeister einen Textmarker an den Kopf, den er jedoch gekonnt abfing. »Wenn du mich nicht ernst nehmen willst, lass es«, versetzte sie gereizt. »Du hast mich gefragt, was los ist. Nicht umgekehrt.«
Der Hauptkommissar, der gerade seine Schreibtischschublade nach seiner Pfeife durchwühlte, hob theatralisch die Hände. »Gemach, gemach, junge Frau. Bin ich nicht Ihr Freund und Helfer? Steht zumindest so an unserer Tür.«
Genervt hob Astrid die Augenbrauen. Es reichte. Sie hatte nicht seit vier Nächten unruhig geschlafen, nur um jetzt - hundemüde, wie sie war - von einem selbstgefälligen, alten Kollegen auch noch dafür aufgezogen zu werden. Sie wollte gerade zu einer gepfefferten Schimpftirade ansetzen, als sich die Bürotür öffnete und Polizeidirektor Josef Schüssler den Raum betrat, der zuständige Dienststellenleiter.
Schüssler war ein drahtiger Mittvierziger mit braunen Haaren, ausgeprägtem Kinn und einer sportlichen Figur. Astrid mochte ihn, auch wenn er ihrer Meinung nach viel zu nachsichtig mit Baumeisters Marotten umging. Schüssler war in ein Klemmbrett vertieft, das er in der Hand hielt, und sah nun kurz zu den beiden Kollegen hoch.
Mit Begrüßungen hielt er sich nicht auf. »Sagt mal, ihr zwei. Wie sieht eigentlich eure Planung für den heutigen Vormittag aus?«, fragte er direkt. »Ich hab' da nämlich was für euch.«
Baumeister blieb unbeeindruckt. »Und was soll das sein?«, fragte er und lehnte sich seufzend in seinem Bürostuhl zurück. Die Pose sollte Überlegenheit ausdrücken und den - sachlich falschen -Eindruck erwecken, als sei der jüngere Dienststellenleiter über Baumeisters Tagesablauf nicht weisungsberechtigt. Schüssler ignorierte sie.
»Ein Einbruch in Mendig, letzte Nacht«, antwortete er. »Der Anruf kam vor einer halben Stunde, die Kollegen vom Roten Kreuz waren schon da. Offenbar hat eine Zeugin die Einbrecher überrascht, oder so, und dabei einen leichten Herzkasper erlitten.«
Mendig , dachte Astrid und strich sich eine störrische blonde Haarsträhne zurück hinters Ohr. Schau an, die alte Heimat . »Weiß man schon, ob etwas gestohlen wurde?«, fragte sie.
Schüssler zögerte. »Gestohlen nicht«, antwortete er ausweichend. Irrte sie sich, oder lag da Ratlosigkeit in seinen tiefblauen Augen? »Aber… na ja, am besten macht ihr euch selbst ein Bild. Ihr werdet schon erwartet.«
Baumeisters Gesicht zeigte deutlich, was er von der Aussicht hielt, jetzt auf einen kleinen Ausflug gehen zu müssen. So kurz vor dem dritten Frühstück, und überhaupt. Schüssler zwinkerte ihm zu. »Der Einbruch fand in einem Hotelbetrieb statt«, sagte er verschwörerisch. »Der Kollege, der den Anruf entgegennahm hat eine solche Sauklaue, dass ich den Namen gar nicht genau lesen kann. Aber vielleicht fällt vor Ort ja noch ein Rest vom Frühstücksbuffet für dich ab, Michael.«
Während Baumeisters schallendes Lachen durch den Raum dröhnte, griff Astrid hastig nach dem Klemmbrett, das Schüssler auf dem Tisch abgelegt hatte. Ein Hotelbetrieb in Mendig ?, dachte sie besorgt.
***
Schon als er durch die Tür trat, welche das Treppenhaus mit dem Schankraum verband, spürte Zamorra, dass etwas nicht stimmte. Es war… nichts Greifbares, nichts, was er hätte in Worte fassen oder beim Namen nennen können, und doch erfüllte es ihn mit einer Überzeugung, wie er sie selten zuvor verspürt hatte. Etwas war hier geschehen - und es war nichts, was in Ulrich Lessbrücks geordnete Provinzwelt, in sein Leben zwischen Zapfanlage und Schnitzelgericht, zu passen schien!
Es war fremd - und als Zamorra eingetreten war und sein Wirt die Deckenlampen über der Theke und den vielleicht zehn Tischen einschaltete, verstand er auch, warum.
Und hielt den Atem an!
Als er und Nicole gestern Abend in diesem Raum gesessen und zu Abend gegessen hatten, hatte an der Wand gegenüber der breiten Holztheke
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