0897 - Monster-Maar
fühlte sich doch bei jedem erneuten Besuch, als käme sie von einer langen Reise wieder heim.
Als Baumeister in die alte Straße einbog, pfiff er leise durch die Zähne. »Na, da schau mal einer an, wir haben Publikum.«
Gegenüber des Gasthauses befanden sich einige kleinere Geschäfte - eine Boutique, eine Dönerbude, ein Kiosk -, und trotz der frühen Stunde tummelte sich dort schon eine beachtliche Schar von Menschen. »Frühstückt man in Mendig jetzt Kebap?«, fragte Baumeister amüsiert, dann steuerte er direkt auf die Treppe vor der Krone zu.
Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen. Astrids fragenden Blick quittierte er gewohnt lässig: »Die sind hier, weil wir angekündigt waren; du weißt doch, wie schnell der Flurfunk in diesen kleinen Gemeinden funktioniert. Die wollen Action sehen. Also bitte, Frau Kollegin - it's showtime!«
Bevor sie noch etwas erwidern konnte, hatte er schon die Fahrertür geöffnet und stieg aus. Astrid folgte widerwillig.
Sie mochte Baumeisters theatralisches Gehabe nicht. Er genoss es zu sehr, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und ließ keine Gelegenheit aus, ein wenig Hollywood zu verströmen. Den besorgten und gleichzeitig entschlossenen Gesichtsausdruck, den Baumeister zeigte, als er die vier Stufen zur Eingangstür der Krone empor sprintete, hatte er sich vermutlich bei »C.S.I.« abgeguckt.
***
Zamorra stand am Fenster des Gasthauses, nippte an einer dampfenden Kaffeetasse und sah hinaus auf die Straße. »Ist hier um die Uhrzeit immer so viel los?«, fragte er leise, wusste die Antwort aber schon.
Lessbrück bestätigte seine Vermutung. »So ist das auf dem Land: Wenn wo was passiert ist, spricht sich das schnell rum - und wird zum Thema Nummer Eins.« Der Wirt trat einen Schritt auf das Fenster zu, sodass man ihn von draußen sehr deutlich sehen konnte, und begann damit, den vielleicht zwölf auffällig unverbindlich dreinblickenden Gaffern auf der anderen Straßenseite gezielt und freundlich zuzuwinken. Peinlich berührt senkten die derart Gegrüßten den Kopf oder widmeten sich spontan dem Schaufenster der kleinen Dönerbude. Für einen Moment oder zwei.
Zamorra schmunzelte und betrachtete das Polizeiauto, das vor dem Haus Halt gemacht hatte. Der rasanten Bremsweise des Fahrers nach zu urteilen, ging das Interesse des Publikums auch an manchen Vertretern der hiesigen Polizei nicht spurlos Vorüber.
Zwei Beamte stiegen aus, und Zamorra studierte ihre Gesichter. Der Fahrer war ein älterer, bärtiger Mann mit schneeweißen Haaren und von eher stämmiger Natur. Doch seine Kollegin konnte kaum mehr als 30 Jahre alt sein. Blond, schlank und ein wenig verunsichert sah sie aus, und hatte die langen Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Wenn der Professor ihr Mienenspiel richtig deutete, dann war ihr der Auftritt ziemlich peinlich.
Lessbrück kicherte leise, als er sah, wen die Mayener Dienststelle ihm da geschickt hatte. »Nach und nach lernen Sie meine ganze Familie kennen, Monsieur«, sagte er und setzte, als er Zamorras fragenden Blick bemerkte, erklärend hinzu: »Hedi und Franz kennen Sie ja schon. Und die junge Dame, die uns jetzt beehrt, ist meine Tochter Astrid.«
Kaum hatte der Wirt geendet, öffnete sich auch schon die Tür der Gaststätte und die beiden Polizisten betraten den Raum. Zamorra hob amüsiert die Augenbrauen - auch wenn, Lessbrücks Worten zufolge, die Kollegin eher Grund dazu gehabt hätte, so benahm sich doch der Ältere, als sei er hier zu Hause. »Herr Lessbrück«, begann der Mann im Tonfall tiefster Begeisterung und ergriff Ulrichs Hand. Zamorra beachtete er gar nicht. »Schönen guten Morgen. Polizeihauptkommissar Michael Baumeister von der Polizeidirektion Mayen. Meine Kollegin kennen Sie ja.«
»Morgen, Papa«, murmelte die Blonde, und schenkte Lessbrück ein entschuldigendes Lächeln.
Jetzt bemerkte Baumeister das Gemälde. Er stieß einen leisen Pfiff aus und ließ Lessbrücks Hand los. »Na, da hatten Sie wohl Besuch von einem richtigen Picasso, was?«, scherzte er. Mit wenigen Schritten war er an der Wand und betrachtete sich dem Bild. Wenige Sekunden lang herrschte Stille, während Baumeister seinen Blick über das Gewirr aus Strichen und Formen schweifen ließ, dann nickte er. »Ich seh schon - alles chaotisch und sinnfrei. Vielleicht das wilde Gekrakel einer wütenden Seele? Eine Tat aus Leidenschaft?« Wissend zwinkerte er Lessbrück zu, der aber in keinster Weise darauf reagierte.
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