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0897 - Monster-Maar

0897 - Monster-Maar

Titel: 0897 - Monster-Maar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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eine Pinnwand gehangen, auf welche die Lessbrücks Flyer und Broschüren über die touristischen Attraktionen und Freizeitangebote gesteckt hatten - ein kleiner Informationswegweiser für ihre Hotelgäste. Zamorra hatte sich den Aushang interessiert angesehen und erinnerte sich noch gut daran: Neben einem Faltblatt über das Mendiger Vulkanmuseum, die Öffnungszeiten des Bootsverleihs am Laacher See sowie eines Busfahrplans der Region hatte er auch von der öffentlichen Bücherei Niedermendig gelesen - und von anderen, ähnlich uninteressanten Einrichtungen.
    Nein, das ist nicht fair , rief er sich zur Ordnung. Uninteressant sind sie nur jetzt; nur im Vergleich zu dem, was den Platz der Pinnwand eingenommen hat…
    Die Wand des Schankraums war weiß und zur Hälfte mit dunkel gestrichenem Holz verkleidet, das Zamorra bis knapp unter die Hüfte ging: Darüber begann der Rauputz.
    Und auf diesem der Wahnsinn.
    Der Professor blickte auf ein… Gemälde, so konnte man es vielleicht nennen. Eine wilde Ansammlung von Strichen und Wellenformen, Kreisen, Dreiecken und anderen geometrischen Körpern bedeckte etwa die Hälfte des Rauputzes. Die Linien waren nach keinem erkennbaren Muster oder System aufgetragen worden, sie überlagerten sich, wo und wie es dem unbekannten Künstler - oder waren es mehrere? - gefiel, ohne Rücksicht auf Optik oder Plausibilität. Zamorra sah Dreiecke, die in Kreise übergingen; er sah Rechtecke, die auf absurde Weise irgendwie doch quadratisch waren, als habe ein Kind sich am Malkasten ausgetobt, ohne Plan und ohne Verständnis für Perspektiven - und er sah Formen, die es so nicht geben konnte!
    Formen, für deren Aufnahme das menschliche Auge gar nicht geschaffen war. Deren schlichte Konzeption den Verstand eines Menschen übersteigen mochte.
    Zamorra spürte, wie sein Kopf zu schmerzen begann. Sein linkes Auge tränte, und je länger er auf diesen Wust aus Strichen und Linien starrte, desto schwieriger wurde es, sich darauf zu konzentrieren. Es war, als habe sein Verstand begriffen, dass in dem, was er da sah, geometrische Figuren eingebettet waren, die er gar nicht sehen durfte - weil es sie nicht gab. Und doch sah er sie, doch waren sie da.
    Langsam atmete er durch die Nase ein und versuchte, die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. Er machte einen weiteren Schritt auf die Wand zu und beugte sich zu einer Art Inschrift hinab, welche die Einbrecher unterhalb ihres absurden Kunstwerks angebracht hatten, in der gleichen, tiefschwarzen Farbe und mit dem gleichen, unsteten Strich. Sechs zusammenhanglos scheinende Buchstaben, die keinen Sinn ergaben: VRILYA. Vielleicht eine Abkürzung, aber wofür?
    Zamorra räusperte sich. Ohne den tränenden Blick von der Wand zu nehmen, richtete er das Wort an Ulrich Lessbrück, der schweigend neben ihm stand und hoffnungslos überfordert wirkte. »Ist das vielleicht ein Begriff aus Ihrem Eifler Dialekt?«, fragte der Professor. »Oder ein Name für einen Ort, einen Landstrich?«
    »Ich habe keine Ahnung, was das ist«, antwortete Lessbrück leise. »Und ich wohne schon mein ganzes Leben in Mendig. Wenn Sie mich fragen, hatten die Einbrecher genauso wenig Ahnung vom Schreiben wie vom Zeichnen.«
    »Sie vermuten Vandalismus?«
    »Ganz ehrlich, Monsieur Zamorra: Ich weiß nicht, was ich vermuten soll. Schauen Sie, dieses… Werk ist quasi über Nacht hier angebracht worden, während wir alle oben schliefen. Als meine Mutter hinunter kam, um wie jeden Morgen in der Küche das Frühstück vorzubereiten, warf sie einen Blick in den Gastraum, sah dieses Chaos und erschrak sich so, dass die alte Pumpe für einen Moment aussetzte.« Lessbrück schluckte. »Ich kann ihnen nicht sagen, wer hierfür verantwortlich ist oder was er damit bezweckt. Doch wer immer es ist: Ihm verdankt meine Mutter einen unfreiwilligen Krankenhausaufenthalt - und da hört meine Geduld auf. Ich habe bereits bei der Polizei angerufen und Meldung gemacht. Die Beamten sollten bald hier eintreffen.«
    »Mhm«, brummte Zamorra unverbindlich und strich sich gedankenverloren übers Kinn. Abermals ließ er seinen Blick über die bizarre Zeichnung und die rätselhaften Buchstaben an der weiß verputzten Wand des kleinen Gastraums der Krone schweifen. Er hatte in seinen vielen Jahren als Kämpfer gegen das Übernatürliche unzählige Dinge gesehen und erlebt, die Lessbrücks Vorstellungskraft übersteigen würden - und in einer Sache war er sich absolut sicher, auch ohne seinen Instinkt oder Merlins

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