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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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einen Arm durch die Keule eines Riesen verloren. Drei ihrer Wachen waren Kastraten, die Stannis hatte kastrieren lassen, weil sie Wildlingsfrauen vergewaltigt hatten. Dazu hatte sie zwei Säufer und einen Feigling. Letzterer hätte eigentlich gehängt werden sollen, wie der König selbst eingeräumt hatte, doch er stammte aus einer Adelsfamilie, und sein Vater und seine Brüder hatten von Beginn an zu seinen treuen Anhängern gehört.
    Die Wachen, mit denen sie sich umgab, würden helfen, den Respekt der Schwarzen Brüder aufrechtzuerhalten, aber keiner der Männer, die Stannis ihr gelassen hatte, würde ihr viel nutzen, falls sie in Gefahr geriet. Doch das spielte keine Rolle. Melisandre aus Asshai fürchtete nicht um ihr Leben. R’hllor würde sie beschützen.
    Sie trank noch einen Schluck Wasser, stellte den Becher zur Seite, blinzelte, reckte sich und erhob sich von dem Stuhl. Ihre Muskeln waren steif und schmerzten. Nachdem sie so lange in die Flammen gestarrt hatte, brauchte sie einige Minuten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ihre Augen waren trocken und müde, sie jetzt zu reiben, würde alles nur noch schlimmer machen.
    Ihr Feuer war niedergebrannt, stellte sie fest. »Devan, mehr Holz. Wie spät ist es?«
    »Es dämmert bald, Mylady.«
    Es dämmert bald. Uns wird ein weiterer Tag geschenkt, R’hllor sei gepriesen. Die Schrecken der Nacht ziehen sich zurück. Melisandre hatte die Nacht wie so oft in ihrem Stuhl am Feuer verbracht. Seit Stannis fort war, hatte sie für ihr Bett nur noch wenig Verwendung. Sie hatte keine Zeit zum Schlafen, wo doch die Last der Welt auf ihren Schultern lag. Und sie fürchtete sich vor den Träumen. Schlaf ist der kleine Bruder des Todes, und Träume sind die Einflüsterungen des Anderen, der uns alle in seine ewige Nacht zerren will. Lieber wachte sie im Sitzen und badete im rötlichen Schein der gesegneten Flammen ihres Roten Herrn, bis ihre Wangen vor Hitze gerötet waren wie vom Kuss eines Geliebten. In manchen Nächten döste sie, aber nie länger als eine Stunde. Eines Tages, so betete Melisandre, würde sie überhaupt nicht mehr schlafen. Eines Tages wäre sie von den Träumen befreit. Melonie, dachte sie. Los Nummer sieben.
    Devan legte frische Scheite auf das Feuer, bis die Flammen wieder aufloderten, wild und wütend, die Schatten in die Ecken des Raums zurückdrängten und all ihre unerwünschten Träume verschlangen. Die Dunkelheit zieht sich erneut zurück … für eine kleine Weile. Doch jenseits der Mauer wird der Feind stärker, und sollte er den Sieg davontragen, wird es keine Morgendämmerung mehr geben. Sie fragte sich, ob es sein Gesicht gewesen war, das sie gesehen hatte, wie es aus den Flammen starrte. Nein, gewiss nicht. Sein Gesicht musste angsteinflößender sein, kalt und schwarz und zu entsetzlich, als dass ein Mensch es ansehen und den Anblick überleben konnte. Der Holzmann, den sie gesehen hatte, und der Junge mit dem Wolfsgesicht … sie waren mit Sicherheit seine Diener … seine Recken, so wie Stannis der ihre war.
    Melisandre ging zum Fenster und schob die Läden auf. Draußen im Osten wurde es hell, und die Sterne des Morgens hingen noch an einem pechschwarzen Himmel. Castle Black wachte bereits auf, und Männer in Schwarz gingen zum Frühstück, das aus einer Schüssel Haferbrei bestand, ehe sie ihre Brüder auf der Mauer ablösten. Ein paar Schneeflocken trieben am offenen Fenster vorbei und schwebten im Wind.
    »Möchte Mylady frühstücken?«, fragte Devan.
    Essen. Ja, ich sollte etwas essen. An manchen Tagen vergaß sie es. R’hllor gab ihr alle Nahrung, die ihr Körper brauchte, aber das sollte sie vor sterblichen Menschen besser verborgen halten.
    Sie brauchte Jon Snow, nicht geröstetes Brot und Speck, aber es war sinnlos, Devan zum Lord Kommandanten zu schicken. Er würde auf ihren Ruf nicht hören. Snow wohnte immer noch hinter der Waffenschmiede in zwei bescheidenen Räumen, in denen ursprünglich der verstorbene Schmied der Nachtwache gelebt hatte. Vielleicht hielt er sich des King’s Towers nicht für würdig, vielleicht war es ihm aber auch gleichgültig. Das war sein Fehler, diese falsche Bescheidenheit der Jugend, die selbst eine Art von Stolz war. Für einen Herrscher war es niemals weise, sich den Insignien der Macht zu verweigern, denn die Macht entstammte in nicht geringem Maße diesen Insignien.
    Ganz dumm war der Junge jedoch nicht. Er würde nicht wie ein Bittsteller in ihren Gemächern vorsprechen, sondern

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