09-Die Pfade des Schicksals
Mächte gewehrt, die ihr überlegen waren.
Durch ihre Schuld waren Covenants Hände …
Dies war das Ergebnis. Die Leiche des Insequenten lag von Säure angefressen und zerfließend auf dem von Rissen durchzogenen Granitboden. Und Esmer war zurückgekehrt. Gegen ihn konnte sie sich nicht verteidigen. Die Tatsache, dass in seinem Kielwasser auch die letzten Urbösen und Wegwahrer angekommen waren, tröstete sie nicht im Geringsten.
Linden hatte seit ihrer ersten Nacht in Andelain nicht mehr geschlafen; hatte außer einer Hand voll Schatzbeeren nichts gegessen. Ihre emotionale Verfassung glich ihrer Bluse: am unteren Saum fehlte ein Stück, mit dem das Gewand der Mahdoubt geflickt worden war; sie war von der hektischen Flucht durch den Salva Gildenbourne zerrissen, von Blei und Tod durchschlagen worden. Die Flecken auf ihren Jeans versinnbildlichten ihr Schicksal: ins Wasser geschrieben, nur grüner Grassaft. Unvergossene Tränen erfüllten ihr Herz.
Auf einem Bein stehend, um ihr verletztes Knie zu entlasten, fühlte sie weiter das Beben von Esmers Macht in den Gesteinstrümmern auf dem Saalboden.
Bhapa und Pahni stützten sie auf beiden Seiten. Ganz anders als Mahrtür schien der ältere Seilträger nicht unter dem Gefühl zu leiden, von meilenhohen Felsschichten erdrückt zu werden, ohne zu wissen, ob er Sonnenschein, weite Ebenen und die Ranyhyn jemals wiedersehen würde. Weil er Selbstzweifel gewöhnt war, galt seine Besorgnis nicht ihm selbst, sondern dem Mähnenhüter und seinen Gefährten. Pahni dagegen war nicht nur von Kräften und Gefahren eingeschüchtert, die andere Ramen nie erlebt hatten, sondern hatte auch schreckliche Angst um Liand.
»Ring-Than«, flüsterte sie drängend. »Ring-Than, hör mir zu. Liand ist schwer verletzt. Er ist dem Tod nahe. Ring-Than - Linden Avery -, ich liebe ihn. Ich flehe dich an, ihn zu heilen.«
Linden verstand. Liand brauchte sie. Stave ebenfalls. Und vielleicht auch Branl, obwohl der Meister ihre Hilfe zurückweisen würde. Die Verbrennungen der Riesinnen verlangten ebenfalls Aufmerksamkeit. Aber ihr Herz weinte um Jeremiah, der im Griff des Croyel wie eine schlaffe Marionette dastand. Seine Knochen leuchteten, als stünden sie in Flammen. Sie beobachtete die scharfe Schneide des Krill an der Kehle des Ungeheuers, das todbringende Leuchten des Schmucksteins und Covenants unglaublichen Mut… und konnte sich nicht bewegen.
Nur Covenant machte ihr ein wenig Hoffnung. In Loriks Klinge hatte er ein Mittel gefunden, den Croyel zu beherrschen. Aber nicht mehr lange. Joans Kraft, die ihm schon unwiderruflich geschadet hatte, leuchtete mit jeder Sekunde heller …
Gott, wie Joan ihn hassen musste! Oder vielleicht verkörperte er alles, was sie an sich selbst hasste. Auch die Tatsache, dass sie von Turiya Herem besessen war, reichte kaum als Erklärung für ihre jetzige konzentrierte Gewalttätigkeit aus. Der Wüterich konnte sie nur am Leben erhalten, ihre Wut immer wieder anfachen und ihre Ausbrüche entzückt beobachten. Er konnte nichts für ihre jahrelangen selbst verschuldeten Qualen.
Linden wusste nicht, warum Covenant nicht längst mit einem Aufschrei zusammengebrochen war. In gewissem Maß schützte ihn seine Lepra. Die Nähe zu dem Ursprung von Kerins Schmutz hatte seine Krankheit verschlimmert. Die Nervenbahnen in seinen Händen waren abgestorben oder zumindest schwer geschädigt. Aber trotzdem …
War das sein Geheimnis? Der Schlüssel zu seiner unglaublichen Tapferkeit? Hatten Entfremdung und Gefühllosigkeit ihm übermenschliche Fähigkeiten verliehen?
Um Linden herum versammelten sich ihre übrigen Gefährten. Böen-Ende trug Anele, der wieder eingeschlafen war. Spätgeborene hatte weiter Mahrtür auf dem Arm, während Onyx Steinmangold den bewusstlosen Liand in den Armen hielt. Stave, der auf angefressenen Beinen humpelte und schreckliche Schmerzen haben musste, die er sich zur Kenntnis zu nehmen weigerte, ging vor dem Eifrigen her; der in Bänder gehüllte Insequente folgte ihm unsicher, unterdrückte seine Ängste und zwang sich dazu, sich zu Lindens Freunden zu gesellen. In einem Knoten aus Stoffstreifen brachte er Liands Orkrest mit.
Zwischen den Riesinnen standen Urböse und Wegwahrer leise bellend aufrecht oder auf allen vieren: ein halblautes Kläffen, aus dem Tadel oder Besorgnis sprach. Die Eisenhand berührte mit der Klinge ihres Steinschwerts drohend Esmers Nacken, doch Esmer ignorierte sie, als wären ihre Größe und gewaltige Kraft
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