09 - Geheimagent Lennet und der verräterische Lippenstift
und kam heraus, bereit, die Flucht wieder aufzunehmen.
»Wir müssen verschwinden", erklärte Lennet. »Und zwar geräuschlos.«
Am Ende des Ganges ging die Tür auf und Claudius erschien.
»Nun? Habt ihr genug geschwatzt?« fragte er ungeduldig.
Lennet und Nadja gingen hinter ihm her die enge Wendeltreppe hinab, die zur Garage führte. Ein Bentley, ein Austin und ein königsblauer Triumph standen dort nebeneinander.
»Papa, Mama und ich", sagte Claudius und deutete auf die drei Wagen. »Ich kann Ihnen nicht den Bentley und auch nicht den Austin leihen, weil sie mir nicht gehören. Aber wenn Sie den Triumph nehmen wollen, können Sie ihn haben.«
»Ich bringe ihn bestimmt zurück", sagte Lennet.
»Das befürchte ich", sagte Claudius.
»Sie befürchten es?«
»Oh, wenn Sie wüßten, wie gern ich einmal etwas Ungewöhnliches tun würde. Meinen Triumph einem Unbekannten zu geben, sogar einem Gauner, das wäre schon etwas Besonderes. Allerdings brauche ich ihn hauptsächlich, um damit in die Schule zu fahren, so daß ich ihn gut entbehren kann. Wenn ich ihn Ihnen also leihe, wo ist da ein Verdienst?«
Er ließ den Motor an, damit er warmlaufen konnte.
»Hier sind die Nägel, die ich für Sie aufgetrieben habe", sagte er. »Was haben Sie damit vor?«
»Auf die Straße streuen, um die Verfolger aufzuhalten. Wenn ich richtig liege, haben sie jetzt drei Wagen: den Mercury, den Chevrolet und den Toyota, die hier irgendwo im Hinterhalt stehen.«
Im leidenden Gesicht von Claudius leuchtete ein Funke.
»Wollen Sie das nicht mir überlassen?« rief er. »Ich verstreue die Nägel, und wenn es sein muß, zerschneide ich ihnen auch die Reifen. Das wird erstklassig erledigt, das verspreche ich.«
»Das ist aber riskant", sagte Lennet zögernd. »Zwar glaube ich nicht, daß die Männer wagen würden, auf Sie zu schießen - sie können sich keinen Skandal leisten -, aber sie könnten Sie gehörig verprügeln.«
»Wenn es gefährlich ist, dann ist das noch ein Grund mehr!
Monsieur Lafleur, lassen Sie mich die Sache mit den Nägeln machen. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas riskiert. Und für Sie wäre das gewonnene Zeit. Sie sagen: ein Mercury, ein Chevrolet und ein Toyota. Wird gemacht. Lassen Sie mir fünf Minuten, und Sie werden sehen, es gibt keine Verfolgung mehr.
Bitte, lassen Sie mich das machen.«
Lennet zögerte, aber Nadja, die scheinbar gar nicht zugehört hatte, sagte plötzlich: »Lassen Sie ihn beweisen, daß er tapfer ist, Monsieur Lafleur. Das ist vielleicht wichtig für ihn.«
»Einverstanden", sagte Lennet.
Claudius dankte beiden mit einem Kopfnicken. Dann zog er einen Mantel an, schlüpfte in die Überschuhe und ergriff den Sack mit den Nägeln. Er ging zu einer kleinen Tür an der Seite.
»Fünf Minuten", wiederholte er, die Hand auf der Klinke.
»Dann brauchen Sie bloß noch loszufahren. Die Garagentür geht automatisch auf und schließt auch wieder von selbst. Sie haben erst eine betonierte Zufahrt von dreißig Meter. Dann sind Sie auf der Straße. Der Mercury steht links.«
»Einen Augenblick", sagte Lennet. »Wie mache ich es, daß ich nicht auch über Ihre Nägel fahre?«
»Daran habe ich gar nicht gedacht", sagte Claudius. »Aber das ist ganz einfach. Sie fahren einfach auf dem Trottoir nach rechts.
Dann nehmen Sie die erste Straße links, oder die zweite, wenn in der ersten der Chevrolet oder der Toyota stehen sollten, ich komme dann hinter Ihnen her und verstreue die Nägel erst hinter Ihnen.«
»Das würden Sie wagen?«
»Aber sicher. Was macht man nicht alles, wenn man sich langweilt. Auf Wiedersehen.«
Der sonderbare Bursche verschwand. Nadja und Lennet setzten sich in den Triumph, dessen Motor angenehm röhrte.
Im Speisezimmer hatte Kanar Mister Goodfellow gerade überredet, daß er ihn mit der Tänzerin sprechen ließ. Draußen warteten drei Wagen mit laufendem Motor. Vor dem Haus der elegante Mercury, links in einer Seitenstraße der Chevrolet und rechts der Toyota.
Der Fahrer des Mercury sah einen Fußgänger aus dem Haus herauskommen. Er sah, wie dieser sich dem Wagen näherte, einen Blick ins Innere warf und ironisch grüßte. Aber er sah nicht die Nägel, die auf den Boden fielen. Die Fahrer der beiden anderen Wagen bemerkten nicht einmal den schmalen Schatten, der durch das Dunkel glitt.
Lennet sah auf seine Taschenuhr.
»Los", sagte er. Er drückte auf das Gaspedal. Der Triumph fuhr langsam an. Automatisch hob sich die Tür und glitt zur Decke hinauf. Lennet
Weitere Kostenlose Bücher