09 - Geheimagent Lennet und der verräterische Lippenstift
Kanar haben, damit dieser nicht auf falsche Gedanken kommt und der Smoking auch noch dabei zerreißt.
Kannst du immer noch folgen?«
»Ich bin dir sogar voraus. Du brauchst als Kontaktmann einen, der schmal und klein ist.«
»Richtig.«
»Nun, du nimmst an, daß Kanar den Kontaktmann nicht gesehen hat und daß also jeder kleine, schlanke Mann, der um null Uhr fünfunddreißig in die Toilette des Kunsthauses geht und dort seinen Smoking auszieht, der Richtige sein kann.«
»Richtig.«
»Und da du nun keinen anderen Kollegen zur Verfügung hast, willst du mich fragen, ob ich nicht den Kontaktmann spielen will.«
»Genau.«
»Mein Lieber", sagte Lennet, indem er aufstand. »Die Sache ist schon gemacht.«
Der Hilferuf
Seit Lennets letztem Aufenthalt hatte sich Montreal nicht verändert. Es war die gleiche geometrische, nüchterne, mit Wolkenkratzern gespickte Stadt, nur versank sie diesmal nicht im Schnee, sondern in einem gelben, eisigen Matsch. Die Wagen spritzten damit Bürgersteige und Fußgänger voll. »Zum Kunsthaus", sagte Lennet zum Taxifahrer.
Die Stunden, die seit seiner Ankunft verstrichen waren, waren gut genutzt worden. In dieser Zeit hatte sich Lennet verwandelt in einen kanadischen Journalisten mit dem Namen Marie-Joseph Lafleur. Er hatte alle notwendigen Papiere erhalten, war im Hotel Holiday Inn abgestiegen, hatte rasch gegessen, sich in einem Laden einen Smoking geliehen und fühlte sich jetzt sehr eingeengt durch die Abendkrawatte. Dieser Tag, bedingt durch den Zeitunterschied zwischen Europa und Amerika hatte dreißig Stunden für ihn. Das machte ihm leider zu schaffen.
Am Ende einer Straße tauchte der schwarze Umriß des Wolkenkratzers »Long John" auf, und Lennet dachte an die aufregende Nacht, die er dort zusammen mit Phil erlebt hatte.
Das Kunsthaus war strahlend erleuchtet. Der moderne Bau hatte drei Bühnen, und zur größten von ihnen strömte eine festliche Menge. Dunkle Anzüge, Smokings, weiße Hemdbrüste, glitzernde Hosenanzüge und lange Abendkleider formten sich zu einem ununterbrochenen Strom. Lennet kaufte ein Programmheft. Dann ließ er sich bequem in einem Orchestersessel nieder. Die Zuschauer um ihn herum sprachen zum großen Teil Englisch. Andere sprachen kanadisches Französisch, und Lennet berührte es sehr, die sonderbaren Worte und die eigentümliche Aussprache wiederzuerkennen.
Die erste Hälfte des Programms, die aus Teilen berühmter Ballettstücke wie »Giselle" und »Schwanensee" bestand, interessierte Lennet nur mäßig. Die Tänzer springen zwei Meter hoch, aber das kann ich auch. Und die Tänzerinnen bewegen sich anmutig, dafür haben sie Beine wie Radrennfahrer..., dachte er im stillen.
In der Pause ging er ein wenig im Foyer auf und ab. Dann hob sich der Vorhang wieder, und plötzlich war er gefesselt.
Gefangen von einem Ballettstück mit dem Namen »Die Schöne und das Untier". Als die Schöne erschien, entdeckte Lennet, daß er im Innersten doch eigentlich ein Ballettliebhaber war. Die große, schlanke Primaballerina trug ein langes weißes, romantisches Gewand. Ihre tizianroten Haare fielen ihr bis zur Taille herab. Es war ergreifend, mit welch wunderbaren Bewegungen sie in dem Stück zu ihrem Vater ging, um ihm tanzend zu erklären, daß sie eine Einladung des Untiers angenommen hatte! Als das Untier erschien, schrecklich und abstoßend, wie großartig stellte die Schöne ihr Erschrecken dar!
Einen Augenblick lang spürte Lennet den Wunsch, auf die Bühne zu springen und das ekelhafte Untier zu töten, das es wagte, das arme Mädchen zu erschrecken. Und als das Untier endlich die Maske und sein Tierfell abwarf und als junger, edler Prinz erschien und als die Schöne und der Prinz zusammen auf einem flammensprühenden Flügelroß sich ins Land der Feen erhoben, da spürte der arme Lennet so etwas wie Eifersucht, die ihm allerdings sofort selbst lächerlich erschien.
»Was für ein Ohrfeigengesicht, dieser Prinz", brummte er vor sich hin.
Nachdem die Darsteller siebenmal auf die Bühne gerufen worden waren - das ganze Publikum klatschte begeistert - fiel der Vorhang endgültig. Die geladenen Gäste, also die Presse, Stadtväter und Persönlichkeiten strömten ins Foyer, wo sie Gelegenheit haben sollten, die Darsteller persönlich kennenzulernen.
Es war halb zwölf. Lennet hatte also noch eine Stunde Zeit, ehe er an seinen Einsatz denken mußte. Er war entschlossen, Nadja Ratan, der Primaballerina, seine Bewunderung auszudrücken. Nach einer
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