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09 - Geheimagent Lennet und der verräterische Lippenstift

09 - Geheimagent Lennet und der verräterische Lippenstift

Titel: 09 - Geheimagent Lennet und der verräterische Lippenstift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Volkoff
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halben Stunde Warten, die die meisten der Eingeladenen an der Bar verbrachten, gab es Bewegung in der Menge. Die Tanztruppe erschien. Die Tänzer und die Tänzerinnen hatten sich umgezogen und erschienen in Abendkleidung. In ihrer Mitte ging ein kleiner Mann, dessen Gesicht runzlig war wie eine Quitte. Lennet erkannte ihn sofort: Rudolf Kanar.
    Neben ihm ging Fräulein Ratan. Sie hatte ihre rote Perücke nicht abgenommen und erschien in Wirklichkeit noch schöner als auf der Bühne, aber verblüffenderweise ebenso scheu.
    Die Journalisten umringten die Künstler. Blitzlichter flammten von allen Seiten auf. Fragen prasselten in Englisch, Französisch und auch in anderen Sprachen auf die Tänzer nieder.
    »Fräulein Ratan, lieben Sie die Rolle, die Sie eben getanzt haben?«
    »Es ist die Lieblingsrolle von Fräulein Ratan", erwiderte Kanar ernst, während die Tänzerin die Augen niederschlug.
    »Fräulein Ratan, gefällt Ihnen Montreal?«
    »Fräulein Ratan bewundert Montreal.«
    »Fräulein Ratan, benützen Sie französisches Parfüm?«
    »Fräulein Ratan benützt nur die Parfüms unseres Landes.«
    »Fräulein Ratan, haben Sie schon vor ausländischem Publikum getanzt?«
    »Bisher hat Fräulein Ratan nie eingewilligt, ins Ausland zu reisen. Sie fühlt, daß sie zu Hause gebraucht wird.«
    »Fräulein Ratan, wie ist Ihre politische Meinung?«
    Die Tänzerin, die bisher lediglich bescheiden gelächelt hatte, warf einen furchtsamen Blick auf Kanar. Der Leiter der Truppe sah die rundliche Journalistin, die diese Frage gestellt hatte, streng an.
    »Fräulein Ratan", erklärte er, »ist eine treue Bürgerin unseres Staates.«
    »Fräulein Ratan, warum antworten Sie nicht selbst, wenn man Sie etwas fragt?« fragte ein dicker Journalist.
    Nun antwortete die Tänzerin zum erstenmal selbst mit einer ernsten, singenden Stimme und in fast perfektem Französich:
    »Herr Kanar drückt genau das aus, was ich denke, und zwar besser, als ich es könnte.«
    Dann warf sie Kanar einen Blick zu, als wolle sie ihn fragen, ob die Antwort so richtig war.
    Enttäuscht wandten sich die Journalisten dem ersten Tänzer zu, der die Rolle des Untiers getanzt hatte. »Herr Zilok, was halten Sie vom kanadischen Publikum?«
    »Herr Zilok, wie viele Stunden am Tag arbeiten Sie?«
    Auch diesmal gab Kanar die Antworten. Zilok setzte eine überlegene Miene auf und nickte zu allem, was Kanar sagte.
    Um so schlimmer für ihn, dachte Lennet. Für ein solches Ohrfeigengesicht habe ich sowieso kein Mitleid.
    Indem er die Gelegenheit, da die Aufmerksamkeit des Leiters und des Publikums auf den Tänzer gerichtet war, ausnützte, schob sich Lennet zu der Tänzerin hin.
    »Mademoiselle", stammelte er und sah die junge Frau an, vor der er sich wie ein kleiner Junge vorkam, »Sie sind eine Tänzerin... hm, das heißt... eine Tänzerin... die sehr gut tanzt.«
    Noch nie in meinem Leben habe ich mich so dumm angestellt, dachte er. Ich möchte wissen, woher das kommt.
    Nadja Ratan wandte ihm ihre großen grünen Augen zu und betrachtete ihn schweigend. In ihrem Blick glaubte er das gleiche Elend zu sehen, das sie auf der Bühne angesichts des Untiers gezeigt hatte. »Danke, Monsieur.«
    Vielleicht wollte sie noch etwas hinzufügen. Wenigstens glaubte Lennet das, da sie ihre ausdrucksvollen Augen nicht von ihm abwandte. Aber in diesem Augenblick standen wie aus der Erde geschossen zwei Männer neben der Tänzerin, und als Lennet sich umwandte, entdeckte er, daß auch hinter ihm zwei ähnliche Typen standen. Alle vier waren sehr gut gekleidet, hatten aber brutale Gesichter und waren gebaut wie Berufsboxer. Sie schoben sich fast unmerklich zwischen die Tänzerin und Lennet und trennten sie voneinander.
    »Zum Teufel. Wer sind diese Männer?« rief Lennet laut.
    »Sind sie auch Tänzer? Wenn man in dem Ballett vier Untiere braucht, dann haben sie sicher Arbeit genug.«
    Die vier Männer wechselten einen überraschten Blick. Dann betrachteten sie herablassend den kleinen Lennet, der ihnen kaum bis zu den Schultern reichte, und wechselten wieder einen Blick miteinander. Schließlich legte einer die Hand schwer auf Lennets Schulter: »Wir sind die offiziellen Dolmetscher der Truppe.«
    »Aha. Und welche Rollen dolmetschen Sie?« fragte Lennet und stellte sich naiv.
    Aber die vier Boxer würdigten ihn keiner Antwort. Sie drehten ihm einfach den Rücken zu. Einen Augenblick lang gewahrte er unter der Achsel des einen hindurch den furchtsamen Blick der Tänzerin. Dann

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