09 - Old Surehand III
einmal leise. Sein Gesicht und seine Gestalt schienen aus Holz geschnitzt zu sein. Nur in seinen Augen war Leben; sie blickten wieder und immer wieder mit dem Ausdruck befriedigten Hasses zu dem Gefangenen hinüber. Dieser saß auch fast unbeweglich. Die Augenlider stets niedergeschlagen, hatte er das Aussehen, als ob er sich in einer so verächtlichen, ihm so gleichgültigen Umgebung befinde, daß es sich gar nicht verlohne, auch nur mit der Wimper zu zucken. Gab es ein bezeichnendes Wort für seine Haltung, so war es nur das eine: der personifizierte Stolz!
Nach der angegebenen Zeit war in der Ferne die Stimme eines Bergwolfes zu hören, worauf eine zweite, dann eine dritte und vierte Stimme antwortete. Dies gab dem Häuptling Veranlassung, sein Schweigen zu brechen:
„Hört das Bleichgesicht die Wölfe? Sie streiten sich um die Knochen, welche ihnen der Kui-eran (Grauer Bär) von seiner Mahlzeit übriggelassen hat.“
Old Surehand antwortete nicht. Der Häuptling der Utahs fuhr fort:
„So werden sie sich morgen abend auch um deine Gebeine streiten!“
Da der Gefangene auch jetzt schwieg, fuhr ihn Tusahga Saritsch zornig an:
„Warum redest du nicht? Weißt du nicht, daß man zu antworten hat, wenn ein berühmter Häuptling den Mund öffnet, eine Frage auszusprechen?“
„Berühmt? Pshaw!“ ließ sich Old Surehand jetzt verächtlich hören.
„Zweifelst du daran?“
„Ja.“
„So kennst du mich nicht!“
„Das ist es ja! Ich habe dich nicht gekannt, bis ich dich sah; ich hatte noch nicht ein einziges Mal deinen Namen gehört. Kannst du da berühmt sein?“
„Ist nur der berühmt, dessen Namen grad deine Ohren gehört haben?“
„Wer den Westen so kennt wie ich, kennt auch den Namen jedes berühmten Mannes!“
„Uff! Du willst mich beleidigen, nur damit ich dich schnell töte! Das wird aber nicht geschehen. Du sollst dem grauen Bär gegenüberstehen!“
„Damit du dich dann mit seinem Fell, seinen Ohren, seinen Krallen und seinen Zähnen schmücken und die Lüge sagen kannst, du habest ihn erlegt!“
„Schweig! Es sind über fünfzig Krieger hier, welche wissen werden, daß ich ihn nicht getötet habe. Wie kann ich da so sagen, wie du sprichst?“
„Wer feig ist, ist zu jeder Lüge fähig. Warum schickt ihr mich in das ‚Tal der Bären‘? Warum wollt ihr nicht selbst hinunterreiten?“
„Wer uns Feiglinge nennt, ist ein Coyote, dessen Stimme wir verachten!“
„Wenn du von Verachtung redest, so verachte dich nur selbst!“
„Hund! Hast du nicht bei der Beratung gesessen und jedes Wort vernommen, als wir über dich beschlossen haben? Du hast unsere beiden Krieger ermordet, welche Vater und Sohn waren, der ‚Alte Bär‘ und der ‚Junge Bär‘ genannt. Beide trugen ihre Namen davon, daß sie den mächtigen grauen Bären des Felsengebirges erlegt hatten; sie waren sehr berühmte Krieger – – –“
„Feiglinge waren sie!“ fuhr Old Surehand ihm in die Rede. „Feiglinge, die mich von rückwärts überfielen! Ich tötete sie, indem ich mich gegen sie wehrte, im offenen ehrlichen Kampf. Wäret ihr nicht so viele über mich gekommen, fünfzig gegen einen, und wäre ich auf diesen Kampf vorbereitet gewesen und nicht hinterrücks angegriffen worden, so hättet ihr mich anders kennengelernt, als es geschehen ist!“
„Jeder rote Mann kennt die Bleichgesichter; sie sind blutdurstig und räuberisch wie die wilden Tiere und müssen als solche behandelt werden. Wer da glaubt, sie seien eines ehrlichen Kampfes wert, der wird von ihnen ausgelöscht. Du bist ein Bleichgesicht, doch vermute ich, daß du rotes Blut in den Adern hast; das aber sind die Schlimmsten, die es gibt.“
Diese Worte des Häuptlings frappierten mich. Old Surehand rotes Blut in den Adern! Er hatte nicht das Äußere und noch viel weniger den Charakter eines Mestizen; aber es hatte mir doch schon oft, wenn ich still und ihn beobachtend bei ihm saß, geschienen, als ob etwas Indianisches an ihm sei; ich hatte nur nicht finden können, worin das eigentlich lag. Nun sprach der Utah diesen Gedanken offen aus, und als ihm hierauf die Augen Old Surehands in tiefer, aber verhaltener Glut entgegen leuchteten, wurde mir wenigstens soviel klar: das waren Indianeraugen! Der Utah fuhr fort:
„Der Tod des ‚Jungen‘ und des ‚Alten Bären‘ muß gerächt werden. Wir können dich nicht mit nach dem Lager unsers Volkes nehmen, um dich dort am Marterpfahl sterben zu lassen, denn das liegt zu fern von hier; darum haben
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