09 - Vor dem Tod sind alle gleich
sie mit einem breiten Lächeln und blieb vor ihr stehen.
»Ja, so ist es. Man sagte mir, du heißt Mel.«
Der Krieger nickte freundlich. »Wie ich höre, bist du meiner Empfehlung gefolgt und wohnst mit deinen Begleitern im Gasthaus meiner Schwester Lassar. Ich dachte, du hättest noch einen dritten Mann bei dir? Lassar berichtete mir, daß nur du und zwei andere dort übernachten.«
Fidelma war klar, daß der Krieger genau beobachtete und sie ihre Worte vorsichtig wählen mußte.
»Zuerst waren wirklich drei Krieger bei mir. Einer mußte nach Cashel zurückkehren«, log sie.
»Nun, ich hoffe, dir gefällt die Unterkunft. Meine Schwester hat gutes Essen und bequeme Betten zu bieten.«
»Meine Gefährten und ich, wir fühlen uns wirklich sehr wohl im Gasthaus zum Gelben Berg. Aber es ist schön, daß ich dich hier treffe.«
Der Krieger runzelte leicht die Stirn. »Wieso, Lady?«
»Ich habe gerade in der Abtei mit den Leuten gesprochen, die mit dem kürzlichen Mord an einer jungen Novizin zu tun hatten«, erwiderte Fidelma. »Sie sagten mir, du seist ein wichtiger Zeuge im Prozeß gegen Bruder Eadulf gewesen.«
Der Krieger machte eine abwehrende Geste. »Ich war nicht unbedingt ein wichtiger Zeuge. Ich war lediglich der Hauptmann der Wache gerade an diesem Kai hier in der Nacht, als der Mord verübt wurde.«
»Kannst du mir genau beschreiben, was geschah? Ich nehme an, du weißt, weshalb ich mich dafür interessiere?«
Einen Moment schien der Krieger verlegen, doch dann nickte er.
»Gerüchte verbreiten sich schnell in dieser Stadt, Lady. Ich weiß, wer du bist und warum du hergekommen bist.«
»Wie kam es, daß du in der Nacht hier auf dem Kai warst?«
»Ganz einfach, ich hatte Wache, wie ich schon sagte. Wir waren zu viert hier.« Mit einer ausholenden Armbewegung wies er auf die ganze Ansammlung von Kais der Stadt Fearna.
»Geschehen hier so viele Verbrechen, daß man eine Wache aufstellen muß?« forschte Fidelma.
Mel lachte stolz.
»Überhaupt nicht – eben wegen der Wache. Als Hauptstadt der Könige von Laigin sind wir ein bedeutender Ort für den Handel flußauf. Es beruhigt die Kaufleute, wenn sie wissen, daß ihre Schiffe und Ladungen gut bewacht werden.«
Er schwieg, doch sie drängte ihn fortzufahren.
»Wie gesagt, wir waren in der Nacht zu viert auf Wache. Ich war der Hauptmann. Jedem war ein Abschnitt der Kais zugewiesen. Ich glaube, es war schon eine Weile nach Mitternacht, als ich von da kam.« Er zeigte auf einen kleinen Kai weiter flußabwärts von der Abtei. »Dort war einer meiner Männer postiert. Der nächste Wachmann stand weiter hier entlang. Ich machte also meine übliche Runde und kontrollierte meine Leute.«
»Wie war die Nacht?«
»Das Wetter war angenehm, es regnete nicht«, erinnerte er sich. »Aber der Himmel war bewölkt, deshalb war es dunkel. Wir hatten jedoch Fackeln«, setzte er hinzu.
»Die Sicht war also eingeschränkt«, stellte Fidelma befriedigt fest. »Auch mit einer Fackel kann man nicht weit sehen.«
»Das stimmt«, gab er zu. »Deshalb stolperte ich auch fast über die Leiche des Mädchens, bevor ich sie bemerkte.«
Fidelma hob die Augenbrauen. »Du bist darüber gestolpert? Heißt das, daß du sie selbst entdeckt hast? Ich dachte, es gäbe eine Zeugin für den Mord?«
Mel zögerte. »Die gab es auch. Die Sache ist etwas verwickelt, Schwester.«
»Wirklich? Dann erzähl mir die Geschichte so einfach wie möglich.«
»Ich ging hier lang und hielt meine Fackel hoch. Es war, wie gesagt, eine dunkle Nacht. Ich kam auf dem Uferweg an und wollte an dem Kai vorbei.«
»Lagen Schiffe an dem Kai vertäut?« fragte Fidelma dazwischen, der plötzlich ein Gedanke gekommen war.
»Ja, eins der Flußschiffe, die hier regelmäßig anlegen. Auf ihm war es dunkel, und es war auch niemand an Deck. Das war normal um die Nachtzeit. Wahrscheinlich schliefen alle unter Deck oder waren sinnlos betrunken.« Er grinste bei dieser Vorstellung. »Als ich weiterging, bemerkte ich eine Gestalt zu Pferde.«
»Wo hielt diese Gestalt?« fragte Fidelma. »Hier auf dem Weg?«
»Nein, drüben am Kai.«
»Was tat sie?«
»Anfangs verhielt sie sich so still, daß ich sie erst bemerkte, als sich das Pferd bewegte. Sie hatte keine Fackel, sondern war ganz in die Dunkelheit gehüllt. So entdeckte ich die Leiche.«
Fidelma unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer.
»Bitte erklär mir das etwas ausführlicher.«
»Als ich die Gestalt erblickte, hob ich die Fackel und wollte sie
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