090 - Die Totenwache
durchstöbert hatte, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Ich ärgerte mich über Gunnarssons Verhalten. Das war ein grober Vertrauensbruch. Ich war gespannt, wie er sich aus der Affäre ziehen würde - falls er sich jemals wieder blicken ließ.
Ich stand ein paar Minuten nachdenklich da.
Plötzlich ertönten über mir Schritte.
Ich schloß die Tür ab und ging zur Treppe. Stimmengewirr drang von oben herab. Zwei Männer standen im Flur. Jetzt erkannte ich ihre Stimmen.
„Yoshi - Abi!"
Ich stürzte hinauf. Die beiden wirbelten herum und machten entgeisterte Gesichter. Sie sahen mich an, als sei ich ein Gespenst. Sekundenlang verschlug es ihnen die Sprache. Yoshi fing sich als erster wieder.
„Dorian! Mir fällt ein Stein vom Herzen!"
Ich sah, daß meine Freunde erleichtert aufatmeten.
„Was ist in euch gefahren? Warum seid ihr so überraschend nach London gekommen? Stimmt im Castillo etwas nicht?"
„Wir sind heilfroh, daß du noch lebst, Dorian."
„Ich bin weder ein Gespenst noch die dämonische Projektion unserer Feinde. Ich bin Dorian Hunter. "
Abi lachte. Anscheinend hatte er damit gerechnet, die Jugendstilvilla in chaotischem Zustand wiederzufinden.
„Martha behauptete am Telefon, du hättest dir das Genick gebrochen, Dorian. Wir sind sofort aufgebrochen, um hier nach dem Rechten zu sehen. Wir waren auf das Schlimmste gefaßt."
Ich biß mir auf die Unterlippe. Miß Pickfords Verhalten gab mir immer größere Rätsel auf. Warum hatte die alte Dame meine Freunde in panische Angst versetzt? Sollte Gunnarssons unverhoffter Besuch in der Jugendstilvilla damit zusammenhängen?
„Wir hatten ungebetenen Besuch", sagte ich gedehnt. „Scheint so, als sei das der Grund für Marthas und Trevors Verwirrung."
Abi unterbrach mich erschrocken.
„Ich war bisher der Meinung, nur ein Vertreter der Weißen Magie könne ungehindert in die Jugendstilvilla eindringen. Hat sich daran etwas geändert?"
„Nein", antwortete ich entschieden. „Gegen Dämonen ist die Villa nach wie vor abgesichert."
„Wer war es dann?"
„Magnus Gunnarson!"
Abi und Yoshi starrten mich entgeistert an. Damit hatten sie nicht gerechnet.
„Was suchte Gunnarson hier?" fragte Yoshi.
„Keine Ahnung. Aber das werde ich herausfinden."
„Wie willst du das anstellen?"
„Ja", fügte Abi hinzu, „wenn Gunnarson uns etwas verschweigen will, bringt ihn keine Macht der Welt zum Reden. Es dürfte auch ungeheuer schwierig sein, diesen genialen Mann in seinem Versteck aufzustöbern…"
„Das wird nicht nötig sein, Abi", erwiderte ich bestimmt. „Wir werden uns der Hilfe eines Unbeteiligten bedienen. Wir werden den Faust-Geist beschwören!"
Norman Moore fühlte sich schwach. Er hatte die ganze Nacht nicht schlafen können. Jetzt ging er ruhelos durch die Korridore und Hallen des Britischen Museums.
Plötzlich zog er die Augenlider zu schmalen Schlitzen zusammen. Er strich sich aufgeregt über die Jacke seiner Uniform. Vier Männer hatten soeben den Saal der griechischen Skulpturen betreten. Der eine trug einen gelben Kamelhaarmantel und einen dunklen Sporthut. Feinste Qualität aus der Bond Street, erkannte Norman sofort. Die drei anderen Burschen paßten ihrem Aussehen und ihrem Benehmen nach eigentlich nicht zu ihm.
Sie durchquerten den Saal mit weitausgreifenden Schritten. Wenn man genauer hinsah, konnte man die Ausbuchtungen unter ihren Jacketts erkennen.
Die Männer waren bewaffnet.
Norman Moore kannte den elegant gekleideten Mann aus dem PAM. Er wußte auch, was er um diese Zeit im Museum suchte.
Costa, Chef der Londoner Heroin-Dealer, war persönlich ins Museum gekommen, um herauszufinden, warum sich die Lieferung verzögerte. Das war durchaus nicht ungewöhnlich. Dem Boß konnte nichts nachgewiesen werden. Und Kunstbeflissenheit war durchaus ein ehrenswertes Bedürfnis. Kein Yard-Beamter hätte Costa daraus einen Strick drehen können.
Norman Moore hätte schwören können, daß Costa seine Bluthunde längst in die Wohnungen der beiden Wärter geschickt hatte. Offiziell würden Clay Barson und Danny Gulager erst am kommenden Abend vermißt werden.
Norman folgte langsam den Gangstern. Er fragte sich, was sie tun würden, um nach dem Verbleib des Heroins zu forschen. Sie duften keine Aufmerksamkeit erregen. Sie mußten sogar damit rechnen, daß die Polizei im Museum auf sie wartete. Doch wenn einige hunderttausend Pfund auf dem Spiel standen, lohnte sich das Risiko.
Costa blieb vor einem griechischen Apoll stehen.
Der
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