090 - Moerderische Knochenhaende
und gab den Blick in den abgedunkelten Salon frei. Die dynamischen Klänge des Adagios hallten ihr entgegen.
„Marco? Marco, wo bist du?“ fragte sie flüsternd.
Sie erhielt keine Antwort. Am ganzen Körper zitternd betrat sie den Salon. Sie drehte sich um sich selbst und preßte die Hände gegen die Ohren, um die Musik nicht mehr hören zu müssen, doch sie drang bis in ihr Innerstes.
„Das halte ich nicht aus. Marco, verzeih mir. Ich wollte dich nicht töten.“ Die Musik wurde schlagartig lauter. Die Töne hämmerten förmlich auf sie ein. „Ja, doch, doch, Marco, ich wollte dich töten, ich habe dich vergiftet. Ich haßte dich, oh, wie ich dich haßte, weil du die andere immer noch liebtest.“
Die Marchesa schleppte sich zu einer Weinkaraffe. Sie schenkte sich ein Glas ein und trank es in einem Zuge aus. Das genügte ihr noch nicht. Sie ließ ein zweites Glas folgen.
Dann schrie sie abermals gellend auf.
„Verschwinde, Marco. So verschwinde doch endlich!“
Die Musik wurde leiser und leiser, bis sie schließlich verklang. Doch die Marchesa fand keine Ruhe. Sie merkte, wie der Wein wirkte, aber alles war anders als sonst. Ihr flammender Haß und ihre Eifersucht auf die Rivalin erwachten wieder. Sie wankte durch ihre Räume, packte Gläser und Vasen und schleuderte sie gegen die Fenster und Wände. Die Scheiben zerbrachen. Luisa di Cosimo merkte es nicht einmal. Kreischend torkelte sie durch die Räume, stürzte zu Boden, raffte sich wieder auf, zerschmetterte eine Statue von unschätzbarem Wert und blieb danach vor einem Bücherschrank stehen. Er war nicht, wie sonst, mit den bedeutendsten Werken der europäischen Literatur gefüllt. Hinter den Scheiben ringelten und wanden sich Dutzende von Schlangen.
Die Marchesa wich ächzend zurück.
Sie wollte in den Nebenraum fliehen, doch jetzt sah sie dort zahllose Spinnen, die mit gierig leuchtenden Augen auf sie zu krochen.
Sie schrie gellend auf.
„Marchesa“, rief jemand. „Marchesa, was fehlt Ihnen?“
Wie von ganz fern drangen diese Worte an ihr Ohr, ohne ihren Verstand erreichen zu können.
Luisa di Cosimo stürzte sich auf einen Waffenschrank. Sie riß eine schwere Jagdbüchse heraus und zielte auf die Spinnen. Schuß auf Schuß feuerte sie ab, als sich farbige Schleier von der Decke herabsenkten und die giftigen Tiere vor ihren Blicken verbargen.
Die zyklopenartige Gestalt eines Ungeheuers schleuderte die Schleier zur Seite.
Luisa di Cosimo warf ihm die Waffe an den Kopf, doch das scheußliche Monstrum kam weiter auf sie zu und streckte die Arme nach ihr aus. Wie von tausend Furien gehetzt, rannte sie zum Waffenschrank, nahm eine zweite Waffe heraus und richtete sie auf die Bestie in Menschengestalt.
„Carlotta, Carlotta, hören Sie doch“, schrie Julia und rüttelte an der Tür zum Zimmer der Erzieherin. Immer wieder rief sie den Namen, bis Carlotta Vespari endlich öffnete.
„Was ist denn los, Julia?“ fragte sie verschlafen.
„Mama, irgend etwas ist mit Mama passiert.“
Carlotta Vespari vernahm die gellenden Schreie, die aus dem Teil des Schlosses kamen, in dem die Marchesa wohnte.
„Sie hat mehrere Vasen durch das Fenster hinausgeworfen.“
„Moment, ich ziehe mir eben etwas über.“ Carlotta kehrte kurz darauf mit einem Morgenmantel bekleidet auf den Gang zurück. Da eilte Adriano di Cosimo die Treppe herauf.
„Ist die Alte verrückt geworden?“ fragte er. „Kann man denn in diesem Schloß keine einzige Nacht ruhig schlafen?“
„Jetzt ist es soweit“, sagte Silvana, die ebenfalls aus ihrem Zimmer hervorkam. „Jetzt dreht sie durch.“
„Wie sprichst du von deiner Mutter!“
„Es ist doch so, Carlotta. Oder nicht?“
„Ich weiß nicht.“
Adriano di Cosimo rüttelte an der Tür zu der Suite der alten Dame.
„Tante Luisa!“ brüllte er so laut er konnte. „Tante Luisa, öffne, oder ich schlage die Tür ein.“
Die Marchesa kreischte, als befinde sie sich in höchster Todesangst. Dann fielen mehrere Schüsse. Eine Kugel durchschlug das Holz der Tür und verfehlte Adriano nur knapp. Der Cousin der Zwillinge fluchte in einer Weise, die ihnen zu anderer Zeit die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. Er lehnte mit dem Rücken neben der Tür an der Wand. Mit dem Daumen zeigte er über die Schulter.
„Ihr verlangt doch wohl nicht, daß ich da hineingehe, oder?“
„Wir müssen Mama helfen“, sagte Julia entschlossen. Sie eilte zu der Tür und trommelte mit beiden Fäusten dagegen.
Carlotta
Weitere Kostenlose Bücher