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0903 - Der Schattenkelch

0903 - Der Schattenkelch

Titel: 0903 - Der Schattenkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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hast recht. Lass es uns versuchen.«
    Um seine Energie zu sparen, rief er Merlins Stern diesmal nicht, sondern hakte ihn von der Kette, die er um den Hals trug. Er versetzte sich in Halbtrance.
    Sofort verwandelte sich das Pentagramm in der Mitte des Amuletts in einen Mini-Bildschirm. Diesmal musste Zamorra nicht so weit in die Vergangenheit gehen, bis er auf die Szenen stieß, die ihn interessierten. Rückwärts zeigten sich dem Professor all die schrecklichen Ereignisse, die sich abgespielt hatten. Nach ein paar Minuten musste er das Bad verlassen und den Geschehnissen der Vergangenheit in den Flur folgen. Und noch ein paar Minuten später hatte die Zeitschau ihm alles offenbart.
    Er hatte gesehen, wie Madame Rosalie sich vor Schmerzen krümmte, wie sie den Polizeinotruf wählte, den Hörer aber fallen ließ, bevor sie etwas sagen konnte, wie die Klinke der Appartementtür bläulich aufleuchtete. Die Tür schwang…
    ... nach innen auf. Der Mörder bleibt noch für einen Moment stehen und sondiert die Lage. Rosalie Anglivier nimmt ihn nicht wahr. Er tritt von hinten an sie heran und schlägt sie mit einem einzigen Hieb nieder. Danach geht er wieder zur Tür, steckt den Kopf hinaus und wirft einen Kontrollblick nach links und rechts. Er nickt mit verbissenem Gesichtsausdruck und schließt die Tür. Ohne dass ihn das anzustrengen scheint, packt er die bewusstlose Madame Rosalie unter den Armen und schleppt sie ins Bad. Dort lässt er sie achtlos fallen. Wie eine Schlange beim Biss stößt die von Brandwunden übersäte rechte Hand des Mörders vor und reißt Rosalie das Herz aus der Brust. Für einige Sekunden starrt der Mann auf den blutigen Muskel in seinen hageren Fingern und murmelt dabei unablässig (aber für Zamorra unhörbar) vor sich hin. Plötzlich züngeln Flammen aus den Fingern des Mörders, erst vereinzelt, dann immer mehr. Schließlich brennt die ganze Hand und mit ihr Madame Rosalies Herz. Der Mann wirft es in das Waschbecken, wo es noch minutenlang in Flammen steht und zu einem schwarzen, unförmigen Klumpen verkokelt. Erst als das Feuer verlischt, dreht sich der Mörder um, bleibt aber unvermittelt stehen, als hätte man ihn ausgeschaltet. Nach guten zwei Minuten kommt wieder Leben in ihn ...
    ... und er verließ das Bad.
    Zamorra fühlte den kalten Schweiß auf der Stirn. Mit zittrigen Fingern hakte er das Amulett wieder an die Kette und stützte sich am Telefontischchen im Flur ab. Genauso wie es Madame Rosalie vor nicht allzu langer Zeit getan hatte.
    »Alles in Ordnung«, fragte Chefinspektor Robin, der Zamorra in den Flur nachgegangen war.
    »Ja«, krächzte der Professor. Er räusperte sich. »Ja, alles in Ordnung. Die Zeitschau hat mich nur sehr angestrengt.«
    »Verstehe. Willst du einen Schluck trinken?«
    »Nein, danke. Geht schon.« Zamorra räusperte sich noch einmal. »Du hast alles beobachtet?«
    Robin nickte. »Ja. Im Gegensatz zu gestern haben wir diesmal den Mörder wenigstens gesehen. Aber wer war er?«
    »Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber ich kenne sein Gesicht! Als ich gestern die Villa verließ, stand er draußen mitten in den Gaffern. Unser Mörder ist ein Clochard!«
    ***
    Zamorra stapfte ziellos durch den großen Park, der Luynes' Villa umgab. Die Zeitschau hatte ihn wesentlich mehr Kraft gekostet, als er Robin gegenüber zugegeben hatte. Der Angriff des Schattenhundes hatte ihn offenbar doch mehr ausgezehrt, als er sich zunächst eingestehen wollte, und so lief er jetzt gewissermaßen schon auf Reserve. Er hoffte, dass ihn ein paar tiefe Züge frischer Morgenluft wieder halbwegs herstellten.
    Das war aber nicht der einzige Grund, aus dem er das Haus verlassen hatte. Er wollte auch alleine sein, um über das Gesehene in Ruhe nachdenken zu können.
    Hätte er dem Clochard gestern größere Aufmerksamkeit schenken müssen? Zamorra hatte ihn einfach als skurrile Erscheinung abgetan, die er genauso schnell aus dem Sinn wie aus den Augen verloren hatte. Im Unterbewusstsein hatte er aber anscheinend gewusst, dass der Clochard eine wichtige Rolle spielte, sonst wäre er ihm abends nicht wieder eingefallen und hätte sich nicht in Zamorras Albtraum geschlichen.
    Hätte der Meister des Übersinnlichen die zwei Morde verhindern können? Wäre die Evakuierung der Villa doch sinnvoll gewesen?
    Zamorra ballte die Fäuste. All das Hätte und Wäre brachte nichts! Was geschehen war, war geschehen. Es hatte keinen Sinn, sich mit Selbstvorwürfen zu quälen. Wichtig war jetzt nur, dass der

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