0903 - Der Schattenkelch
Handgelenk und schlug ihm den Arm zu Seite. Zamorra hörte ein humorloses Knacken und wusste ihm ersten Moment nicht, ob da gerade ein Knochen oder der Ast gebrochen war. Das Amulett entglitt nach dem Hieb seinen Fingern, segelte noch einige Meter durch die Luft und landete im Laub.
Das war's! Zamorra hatte verloren.
Er schloss die Augen und wartete ergeben auf den alles verzehrenden Schmerz.
Doch er kam nicht.
Der Meister des Übersinnlichen öffnete die Augen und sah den Clochard, der noch immer mit erhobenem, abgebrochenem Ast vor ihm stand. Die Verwirrung in seinen Augen war zu einer absoluten Ratlosigkeit ausgewachsen. Er sah auf Zamorra, dann hinüber zum Amulett und wieder auf Zamorra.
Schließlich ließ er den Ast sinken.
»Du bist keiner von ihnen!«, sagte er.
Zamorra runzelte die Stirn und eine Schmerzkaskade raste durch seinen Kopf.
»Keiner von wem?«, fragte er.
»Du bist keiner von den Schergen des Dämons. Dein Herz muss nicht gereinigt werden, verstehst du?«
Zamorra nickte. »Natürlich.« Er verstand kein Wort.
»Es war nicht dein Herz, das ich gespürt habe«, fuhr der Clochard fort.
»Nicht? Ah ja.« Zamorra stemmte sich hoch. »Wer bist du?«
Der Clochard schlug sich mit der verkohlten Hand auf die Brust. »Der Name dieses Körpers lautete…« Er machte eine kurze Pause, als müsse er erst sein Gedächtnis durchkramen. »… Alain Albeau.«
»Aha«, meinte Zamorra. Das sagte ihm nichts. »Ich bin Professor Zamorra. Was meinst du damit? Der Name deines Körpers?«
»Das Fleisch, das mir als Hülle dient.«
Das wurde immer abenteuerlicher!
»Und wie heißt der, der in der Hülle steckt?«, hakte Zamorra nach.
Als er die Antwort auf seine Frage hörte, wurden ihm die Knie weich.
»Dòmhnall!«
***
»Hände hoch und keine Bewegung!« Pierre Robin kam mit gezogener Pistole zwischen den Birken des Parks hervorgerannt.
Zuerst missachtete Dòmhnall die zweite Anweisung und drehte sich um. Dann missachtete er die erste und ließ die Hände unten. Mit neugierigem Blick starrte er auf das metallene Ding in Robins Hand. Wieder wirkte er, als müsse er in Albeaus Gedächtnis nachsehen, worum es sich dabei handelte.
»Na los! Hoch die Hände!«, wiederholte der Chefinspektor die Aufforderung.
Dòmhnall sah fragend zu Zamorra.
»Steck das Ding weg«, sagte der Parapsychologe.
»Aber das ist der Mörder, den wir in deinem Amulett gesehen haben!«
»Ist mir auch schon aufgefallen. Und ich glaube, er wird uns gleich seine Geschichte erzählen. Freiwillig und ohne bedroht zu werden. Also steck bitte das Ding weg.«
»Das ist eine Pistole«, sagte Dòmhnall. In seiner Stimme klang der Stolz mit, eine schwierige Aufgabe gelöst zu haben.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Robin den Professor und schob die Waffe ins Halfter.
»Das wirst du gleich erfahren.« Zamorra ging zu Merlins Stern und hob ihn vom Boden auf. Er wischte ein paar Krümel Dreck ab und hakte das Amulett an die Kette. »Was machst du überhaupt hier?«
»Dich suchen! Ich habe einen Anruf bekommen. Die beiden in der Villa waren nicht die einzigen Toten in dieser Nacht.«
»Nicht?«
»Nein. Der Nachtwächter in der Leichenhalle, ein gewisser George Sagalle, wurde mit gebrochenem Genick aufgefunden.«
»Was hat das mit uns zu tun?«
»Clement Luynes lag nicht in dem Fach, in das er gehörte, sondern ebenfalls im Eingangsbereich der Leichenhalle. Luynes' herausgerissenes Herz war zu einem Klumpen verschmort.«
»Oh!«, sagte Zamorra und sah zu Dòmhnall.
»Das ist aber immer noch nicht alles«, fuhr Robin fort.
»Was denn noch?«
»Der Kelch wurde gestohlen.«
»Was? Du machst Witze!«
Robin schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Gestern Abend bei Dienstschluss stand er noch im Labor der Spurensicherung. Und heute ist er spurlos verschwunden!«
»Sie haben ihn!«, warf Dòmhnall ein. Sein Augenlid begann zu zittern.
»Sie?«, fragte Zamorra. »Lass mich raten: die Schergen des Dämons?«
Dòmhnall nickte.
Robin verdrehte die Augen. »Hallo! Kann mir vielleicht mal jemand erklären, was hier los ist, ohne sich in kryptischen Andeutungen zu ergehen?«
Zamorra zeigte auf den Clochard. »Das ist Dòmhnall. Er war ein Weißmagier, der vor ungefähr zweitausend Jahren einen Dämon namens Agamar zur Strecke bringen wollte.«
»Du weißt davon?«, fragte Dòmhnall. Dann hauchte er: »Zweitausend Jahre? So lange?«
»Ja, ich weiß davon. Deine Geschichte hat sich bis zu mir herumgesprochen.«
Zamorra erzählte
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