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0903 - Nächte der Angst

0903 - Nächte der Angst

Titel: 0903 - Nächte der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Er hob den Kopf mühsam an. Vera sah ihn an wie einen Fremden, sein Äußeres prägte sich ihr ein. Der Pfarrer trug einen hellgrauen Pullover, eine Hose aus Cord, ein weißes Hemd unter dem Pullover, und seine Gesichtsfarbe war dabei, sich der des Hemdes anzugleichen.
    Er machte einen verwirrten Eindruck. Die Augen blickten zudem ängstlich. Das graue Haar lag zerzaust auf seinem Kopf, und die weiche Haut in seinem Gesicht zuckte.
    »Bitte, Mr. Wingate…«
    »Ja«, flüsterte er. »Ich bin hier. Ich bin gekommen. Ich muß mit Ihnen reden, Vera.«
    »Natürlich, gern. Über was?«
    »Kommen Sie mit!« hauchte er.
    »Wohin?«
    »In die Kirche.«
    »Und was gibt es dort?«
    »Bitte, Vera, lassen Sie alles stehen und liegen. Gehen Sie endlich mit mir.«
    »Ja, schon gut. Entschuldigen Sie, Mr. Wingate. Ich habe ja nicht gewußt, daß…« Ihre Stimme versickerte, und Vera lief um ihren Schreibtisch herum.
    Einige Male schüttelte sie den Kopf.
    In einem derartigen Zustand hatte sie ihren Chef noch nie erlebt. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten und war dankbar, daß die jüngere Frau ihn stützte, als sie durch den Flur gingen.
    Die Haustür stand weit offen. Sie schauten nach draußen in die Leere des grauen Tags hinein, waren sehr bald an der Treppe, und auch hier mußte der Pastor die Stufen hinaufgeführt werden.
    »In die Kirche, sagten Sie?«
    »Ja, durch den hinteren Eingang.«
    Vera Tanner wußte nicht, was geschehen war. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, aber ihre Phantasie weigerte sich, auch nur gewisse Bilder zu malen. Sie ging einfach weiter, bemühte sich, die Phantasie auszuschalten, während sie den älteren Mann untergehakt hielt. Aber tief in ihrem Hirn malte sie sich schon etwas aus, und dieses Gebilde entwickelte sich allmählich zu einer Drohung, die sogar einen, Namen bekommen hatte. Lou Ryan…
    Sie erreichten die Hintertür der Kirche. Sie war schmaler als die an der Vorderseite und zumeist auch abgeschlossen. Diesmal steckte der Schlüssel von außen.
    Der Pfarrer mußte für einen Moment stehenbleiben. Mit der Schulter drückte er sich an die Kirchenmauer, und sein Blick war so schrecklich leer. In Vera wuchs die Sorge. »Wollen Sie wirklich mit in die Kirche gehen, Mr. Wingate?«
    »Ja, das möchte ich. Die Tür ist nicht verschlossen. Drücken Sie sie bitte auf.«
    »Ist schon gut, ich tue es.«
    Auch die Hintertür quietschte in den Angeln, als Vera sie nach innen drückte. Wie ein kleines Kind nahm sie den älteren Mann an die Hand und zog ihn in die Kirche.
    Ihm ging es schlecht, das war zu sehen, und sie fühlte sich ebenfalls wie ausgestoßen und mußte sich wahnsinnig zusammenreißen, um nicht die Flucht zu ergreifen.
    Beide betraten diese vom Dämmerlicht erfüllte schlichte Halle.
    Es war wie überall in den Kirchen. Die Sitzbänke verteilten sich auf zwei Seiten, in der Mitte lag der breite Gang. Da sie durch die Hintertür eingetreten waren, befanden sich die beiden Personen in der Nähe des Altars.
    Der Pastor ging jetzt allein weiter. Er visierte eine kleine Seitennische an, wo eine schlichte Bank stand. Darauf ließ er sich nieder, den Kopf in die Hand gestützt. »Gehen Sie, Vera, Sie werden es schon merken.«
    »Ja«, sagte die junge Frau, »sicher…«
    Sie ging vor. Die Schritte setzte sie zögernd, und sie saugte bei jedem die Luft ein.
    In der Kirche war es kühl, aber ein anderer Geruch hatte den der alten Mauern verdrängt. Er war so fremd und paßte nicht zu dieser Kirche. Die junge Frau schnüffelte weiter, als sie sich von der Seite her dem Altar näherte.
    Auf einmal wurde ihr Hals trocken. So trocken, daß er schon schmerzte. Die Augen weiteten sich, der Geruch war ihr jetzt noch intensiver vorgekommen. Sie senkte den Kopf, schaute zu Boden, blickte auch gegen die Wände, die an bestimmten Stellen einen Teil ihrer Farbe verloren hatten, denn sie waren dort überpinselt worden wie auch der Boden vor ihren Füßen.
    Eine dunkle Farbe… Farbe?
    Nein, das war keine Farbe, etwas anderes gab einen süßlichen Geruch ab.
    Vera Tanner wollte es kaum glauben, aber sie konnte den Geruch auch nicht vertreiben. Er hing wie ein unsichtbarer Vorhang zwischen den Wänden der Kirche.
    Noch einmal schaute sie hin.
    Nein, sie hatte sich nicht geirrt.
    Womit der Boden und die Wände beschmiert waren, das war Blut - jede Menge Blut…
    ***
    Vera Tanner stand bewegungslos auf der Stelle. Sie hörte ihr Herz schmerzhaft schlagen, und sie wollte es nicht glauben, was sie mit den

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