0903 - Nächte der Angst
mir immer folgen, und es wird auch niemand zur Stelle sein, der dich rettet. Auch dein lächerlicher Verlobter nicht, dieser Alex Preston. Ich kann ihn erledigen, wenn ich will. Ich kann ihn vernichten.«
Vera Tanner fühlte sich schlecht. Sie stand auch unter Druck. Sie hatte einen Ring um ihre Kehle liegen, und es bereitete ihr Mühe, überhaupt Atem zu holen. »Du hast ihn schon töten wollen, wie?«
»Habe ich das?«
»In der Nacht.«
Ryan bewegte seinen Mund, als würde er kauen. »Es war ein Hund, Vera, nicht ich.«
»Hör auf, Lou, hör auf! Ich weiß Bescheid! Ich weiß alles, und ich will dich hier nicht mehr sehen.«
Ryan hob die Schultern. »Das kann ich sogar verstehen. Ja, das ist verständlich. Aber ich glaube nicht, daß ich dir diesen Gefallen erweisen kann. Ich habe dich ausgesucht. Ich habe es nicht grundlos getan. Wir gehören zusammen. Wir beide sind ein Paar, auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Vera.«
»Wir sind nichts.«
»Doch!«
»Ich muß zur Arbeit. Ich bin sowieso spät dran.«
»Keiner hindert dich.« Er trat einen Schritt zur Seite und lächelte, als sich die junge Frau in Bewegung setzte. Vera gefiel dieses Lächeln ganz und gar nicht. Sie sah es als hinterhältig an, und es kam ihr auch vor wie eine Drohung. Sie rechnete mit einem Trick, der aber blieb aus, denn Lou ließ sie tatsächlich gehen.
Sehr langsam passierte sie ihn. Dann, als er hinter ihr stand; ging sie schneller. Und sie rannte plötzlich auf ihre Arbeitsstelle zu. Das Pfarrhaus erschien ihr wie eine Herberge zur Glückseligkeit, in die sie eintauchen konnte.
Kurz vor dem Eingang drehte sie noch einmal den Kopf. Von Lou war nichts mehr zu sehen. Er hatte sich zurückgezogen. Vera blieb stehen. Sie atmete schwer, als wäre sie einige Meilen gelaufen.
Das Herz klopfte, und die Stufen der Treppe, die zum Eingang hochführte, drehten sich vor ihren Augen.
Das Haus war aus Backsteinen und stand schon einige Jahre, wurde aber gepflegt. Eigentlich war es zu groß für den Pfarrer, dessen Frau vor drei Jahren plötzlich verstorben war, aber ausziehen wollte er nicht.
Vera spürte den Druck im Nacken, als sie die Stufen hochschritt. Es war keine normale Angst, wie viele Menschen sie kannten. Nein, auf ihr lastete etwas, mit dem sie nicht zurechtkam, das sie auch nicht beschreiben konnte. Eine andere, furchtbare Kraft, etwas, mit dem sie bisher noch nichts zu tun gehabt hatte, das sie auch im Grunde ihres Herzens ablehnte. Es war das Fremde, das Kalte, einfach das Böse, das sich an sie herangeschlichen hatte.
Da sie nicht wußte, ob sich der Pfarrer im Haus befand, suchte sie in der Tasche nach den Schlüsseln, fand sie nach einigem Tasten und war so nervös, daß ihr der Bund aus der Hand rutschte. Mit einem klingenden Geräusch landete er auf einer Stufe.
Sie hob den Bund auf, wollte die Tür öffnen und hörte schon das Tuten des Telefons. Das Geräusch ging ihr des öfteren auf die Nerven. Hastig schloß sie auf, drückte die Tür nach innen, stolperte in den düsteren Flur, machte Licht und lief auf ihr Büro zu. Sie erreichte es in dem Augenblick, als das Tuten verstummte.
Auf der Schwelle blieb Vera stehen. Tief durchatmen, erst einmal für einen Moment Ruhe finden, bevor sie an ihre Arbeit ging. Vera schaute sich um. Sie fürchtete, daß sich in ihrem Büro etwas verändert hatte, das war nicht der Fall.
Keine Spuren von einem Eindringling, denn sie traute einem Menschen wie Lou Ryan alles zu.
Der Garderobenständer stand an der linken Seite wie eine hölzerne Krake.
Sie sah den Schreibtisch, die Bank an der Wand, das Kreuz hing zwischen den beiden Fenstern, und sie schämte sich plötzlich, dorthin zu schauen. Mit gesenktem Kopf ging sie auf ihren Schreibtisch zu, stellte die Tasche ab und zog die braune Winterjacke aus, die sie aufhängte. Ein Rollschrank, ein Schreibmaschinentisch mit der IBM darauf, die Topfblumen auf der Fensterbank, der bunte Kalender, all das war ihr so vertraut und dennoch fremd an diesem Morgen.
Aufatmend ließ sie sich auf den Stuhl sinken. Die Post war noch nicht durch, und auch der Pfarrer hatte ihr keine Nachricht hinterlassen. Er hielt sich wohl noch in seinen Räumen auf, was Vera begrüßte. So konnte sie zunächst einmal für sich allein sein und auch wieder normal werden. Wäre Sixton Wingate jetzt bei ihr erschienen, hätte er sofort festgestellt, daß mit ihr etwas nicht stimmte.
Mit den Fingern drückte sie das braune Haar zurück. Aus einem Ablagekorb holte
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