0904 - Ein teuflischer Verführer
eine Flasche mit Nährlösung in der Hand. Ein dritter Mann, der Fahrer, öffnete bereits die hintere Tür des Krankenwagens.
Ich lief auf den Wagen zu. Der Doc schaute mich an. »Ich weiß, was Sie fragen wollen, und ich gebe Ihnen schon zuvor die Antwort. Es geht ihm nicht gut. Er hat viel Blut verloren, aber ich hoffe, daß wir ihn durchkriegen.«
Ich nickte und schaute in das leichenblasse Gesicht des Verletzten. »Tun Sie Ihr Bestes, Doc. Er hat es verdient.«
»Das ist bei jedem Menschen der Fall, wer immer er auch gewesen sein mag und was immer er getan hat.« Nach diesen Worten stieg der Arzt in den Wagen.
Zehn Sekunden später befand sich das Fahrzeug auf dem Weg zum Krankenhaus.
Zurück blieben Suko und ich. Den Pastor hatten wir bisher nicht gesehen. Vera hatte uns berichtet, daß er in seinem Zimmer lag und schlief. Sicher waren wir nicht. Um diese Sicherheit zu erlangen, mußten wir nachschauen, denn diesem Lou war alles zuzutrauen.
Suko öffnete die Haustür mit seinem Spezial-Besteck, was ihm keine Mühe bereitete. Wir bewegten uns sofort nach oben und gingen auf leisen Sohlen die Treppe hoch. Dort hörten wir bereits die Schnarchgeräusche. Uns beiden fiel ein Stein vom Herzen, und wenig später hatten wir die offenstehende Tür weit aufgeschoben.
Der Pastor lag in seinem Bett und schlief selig. Auf der Glasplatte des Nachttisches stand ein Röhrchen mit Schlaftabletten. Daneben ein Glas, in dem sich Wasser befunden hatte.
Es war alles klar, und wir nahmen uns auch vor, den Mann nicht zu wecken. In seinem Alter sollte man sich die großen und auch kaum faßbaren Aufregungen ersparen.
Zu tun gab es für uns nichts mehr, deshalb verließen wir auch das Pfarrhaus. Vor der Tür fragte ich Suko: »Weißt du, wovor ich mich fürchte?«
»Noch nicht.«
»Vor einem Gespräch mit Tanner.«
Er hob die Schultern. »Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, denke ich.«.
»Leider.«
»Wie willst du es anstellen?«
»Wir fahren zu ihm, und zwar sofort, dann haben wir es um so schneller hinter uns. Vielleicht haben wir Glück, und Vera wurde gefunden…«
»Daran glaube ich nicht«, sagte Suko, und ich mußte ihm recht geben…
***
Und wieder saßen die beiden Schwestern in ihrer Küche zusammen. Sie tranken Tee und schauten sich über den Tisch hinweg an. Zuerst lächelte Amanda, dann Olivia. Sie verstanden sich auch ohne Worte, und sie wußten, daß es noch nicht vorbei war.
»Es sieht gut aus«, sagte Amanda, als sie den heißen Tee einschenkte.
Olivia überlegte einen Moment. Sie brachte dabei einige Strähnen ihres glatt auf dem Kopf liegenden Haars in Ordnung. »Du meinst die Sache mit Lou?«
»Ja.«
»Was findest du daran so gut?«
Amanda trank erst mal einen Schluck. »Wie soll ich dir das sagen? Er hat es genau geschnallt, und ich muß zugeben, daß er besser ist als wir. Der Platz im Wald ist nicht vergessen. Nicht nur die Gestalt mit dem D auf der Stirn wußte Bescheid, auch andere haben seine Wirkung erkannt. Lou ist schon gut.«
»Aber er hat nichts mit den Vampiren zu tun.«
»Das stimmt.«
Amanda lächelte. »Dieser Sinclair hat nichts gespürt. Das ist schon seltsam.«
Olivia runzelte die Stirn. »Ich traue ihm trotzdem nicht. Vielleicht hat er es auch nicht gewollt, oder er hat es uns nicht gezeigt. Wir müssen mit allem rechnen.«
»Auch mit seiner Rückkehr?«
»Ja.«
»Aber Lou ist wichtiger!« erklärte Olivia. »Und er wird uns seinen Besuch schicken.«
Amanda schwieg. »Ich habe noch nie zuvor von ihr gehört. Wir werden sie fragen.«
»Sie heißt Vera Tanner.«
»Na und?«
»Schon gut«, sagte Olivia, stand auf und trat an das Fenster. Die zerstörte Scheibe war wieder ersetzt worden. Olivias Blick glitt durch die Gegend, die sich sehr trübe präsentierte. Vom nahen Frühling war nichts zu merken. Den Schwestern war es auch egal. Sie lebten in den Tag hinein und fühlten sich als Hüterinnen der kleinen Lichtung im Wald, wo die Steine einen Kreis bildeten und wo ein gewisses Tor entstanden war, in dem eine fremde Kraft lag. Lou hatte davon gesprochen. Er würde die Kraft ausnutzen wollen, und er hatte ihr auch etwas vom langen Arm des Teufels erzählt, der über den Ort hinwegstrich, um ihn zu beschützen.
»Er hat nicht gesagt, wann sie kommen wird?«
»Nein.« Olivia schüttelte den Kopf. »Aber er wird uns nicht im Stich lassen, nicht er.«
»Das glaube ich auch.« Amanda trank wieder ihren Tee. Dabei dachte sie an Lou, der ihr gut gefallen hatte. Er
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