0907 - Imperium der Zeit
wahrnahm. »Du brauchtest Hilfe, und ich kann sie dir geben. So einfach ist das. Du hast mir geholfen, indem du meinem Ruf gefolgt bist und mich aus den Steinen befreitest, die mich viel zu lange schon aus dieser Welt gebannt hatten.«
»Und jetzt?«, fragte Johann leise.
»Jetzt ist es an mir, diesen Gefallen zurückzuzahlen. Dein Geldproblem, Johann Bechtel, ist lachhaft im Vergleich zu den Leistungen, die ich in meinen Tagen schon vollbracht habe.«
Johann hätte hinterher nicht sagen können, woher er den Mut nahm, sich den Aussagen des Dunklen entgegenzustellen, doch überkam ihn plötzlich ein so umfassendes Gefühl des Ekels und des Widerwillens, dass er nicht anders konnte, als es in Worte zu kleiden. »Das… das will ich nicht«, stotterte er ängstlich. »Das ist nicht nötig. Ich… Du schuldest mir nichts mehr, in Ordnung?« Und mit leiser werdender Stimme fügte er hinzu: »Ich will einfach, dass du gehst.«
Der Dunkle lachte so laut, dass die Scheiben der Fenster wackelten und die Holzscheite im lodernden Kaminfeuer verrutschten. »Mein lieber Freund, ich fürchte, so funktioniert unsere Abmachung nicht. Siehst du, du und ich sind jetzt aneinander gebunden. Deine Unterstützung setzte mich frei, und nun stehe ich in deiner Schuld. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich doch nicht von deiner Seite weichen, bis ich diese Schuld beglichen habe. Darin besteht gewissermaßen mein momentaner Daseinszweck. Und ja, auch ich bin anderes gewöhnt. Aber es ist nicht mehr zu ändern, so sind die aktuellen Verhältnisse nun einmal.«
Johann Bechtel zitterte wie Espenlaub. Sein Nacken verkrampfte sich, eine eisige Hülle umklammerte seinen Magen und seine Knie fühlten sich an, als wären sie aus Pudding. »Aber mir kann man nicht mehr helfen«, flehte er. »Die Zeit für Rettungsaktionen ist abgelaufen.«
Abermals lachte der Mann in seinem Rücken. »Wenn die Zeit das Element einer Gleichung ist, das dich am Erreichen deiner Ziele hindert«, sagte er und Johann wimmerte leise, als sich eine Hand aus Substanz gewordener Schwärze auf seine rechte Schulter legte, »dann sollte die Zeit auch das Element sein, das man aus der Gleichung entfernen muss. Findest du nicht?«
Unter der Berührung des Unheimlichen gaben Johanns Beine endgültig nach. Schlaff ging er zu Boden, und bevor er sich der gnädigen Schwärze hinter seiner Stirn hingab, fiel sein Blick einmal mehr auf den Raben, der noch immer unbeeindruckt auf dem Hirschkopf oberhalb des Kamins saß und das Treiben beobachtete. Und obwohl Johann die Erscheinung, die er plötzlich hatte, auch seiner Schwäche und den überreizten Nerven zuschreiben konnte, wusste er doch, dass sie der Realität entsprach.
Der Rabe… grinste.
***
Der Platz vor dem Trierer Dom war gut gefüllt, als sich Zamorra und Nicole am nächsten Morgen wie verabredet dort einfanden. Ganze Busladungen voller Schulklassen waren zu dieser frühen Stunde unterwegs, die älteste Bischofskirche Deutschlands zu besichtigen, und obwohl sich die Begeisterung auf den Gesichtern der meisten lieben Kleinen sichtlich in Grenzen hielt, folgten sie alle doch artig ihren Betreuern, die zielstrebig auf die geöffnete, dunkle Eisentür zusteuerten, welche ins Innere des sakralen Bauwerks führte.
»Ganz schöner Klotz«, sagte Nicole und ließ ihren Blick anerkennend über die Fassade des über 112 Meter langen und 41 Meter hohen Doms schweifen. »Und schau mal, was ist das denn für ein Hinkelstein?«
»Kein Hinkelstein, Frau Duval«, erklang eine Stimme in ihrem Rücken, und als sich Nicole und Zamorra umdrehten, sahen sie Thomas Scheuerer, der mit einem jungenhaften Lächeln auf sie zusteuerte. Der selbst ernannte Hellseher und Geisterbeschwörer war abermals recht edel gekleidet. Über einem weißen Hemd und einer dunklen Jeans trug er eine schwarze, vor der Brust zugeknöpfte Anzugsweste und einen schwarzen Mantel, der ihm bis zu den Fußknöcheln reichte. Der Mantel stand offen und wehte bei jedem Schritt, den Scheuerer tat, nach hinten - wie das Cape eines Comic-Superhelden. Als zweifellos modisch zu verstehendes Accessoire hatte sich Scheuerer noch eine Taschenuhr in die Brusttasche seiner Weste gesteckt, von der momentan allerdings nur eine silberne Kette sichtbar war.
»Sondern?«, griff Nicole sein unausgesprochenes Gesprächsangebot auf, nachdem er herangetreten war und sie beide mit Handschlag begrüßt hatte.
»Sondern ein Teufelsstein«, erklärte Scheuerer. »Die Legende besagt, dass
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