0907 - Imperium der Zeit
forderte.
Einen blutigen Tribut.
»Eine Frage noch, Professor«, sagte er zu dem Geschichtswissenschaftler. »Sie haben doch sicherlich von der bizarren Mordserie gehört, welche diese Stadt seit einigen Tagen heimsucht.«
»Die Sache mit dem Römer?« Von Hoyten lachte. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass das Thema erst jetzt zur Sprache kommt. In Anbetracht seiner Aktualität hatte ich eigentlich damit gerechnet, schon während des Vortrags von einem Zuhörer darauf angesprochen zu werden.«
»Und was hätten Sie ihm erwidert?«, fragte Nicole, mit einem Mal hellhörig geworden.
Der Alte winkte ab. »Das Gleiche, was uns die Presse und die Polizei berichtet: dass es sich um die Tat eines Wahnsinnigen handelt, der in Kostümierung auftritt und sich erstaunlich geschickt vom Tatort entfernen kann.« Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Und wenn ich Presse sage, meine ich natürlich nicht diese unsägliche BILD-Zeitung. Haben Sie gelesen, was heute Morgen auf dem Titel der Trierer Regionalausgabe stand? Unglaublich, welch absurde Fantasie diese Schmierfinken aufbringen können, wenn es darum geht, die Bevölkerung kirre zu machen.«
Zamorra erinnerte sich, das Blatt beim Frühstück im Hotel überflogen zu haben. Schon damals hatte er die Schlagzeile »Killer-Römer - Wer wird sein nächstes Opfer?« befremdlich gefunden. Wenn auch - und dies behielt er momentan lieber für sich, um sich in von Hoytens Augen nicht vollends zu diskreditieren - für weitaus zutreffender, als es wohl selbst die Redaktion der Zeitung jemals gedacht hätte.
»Sie gehen also…«, setzte er an, doch das Vibrieren des Mobiltelefons in seiner Hosentasche unterbrach ihn. Entschuldigend lächelte er von Hoyten an, zog das kleine Gerät hervor und sah aufs Display. Bei dem Anrufer handelte es sich um William.
»Da muss ich kurz rangehen«, sagte er, entschuldigte sich und ging ein paar Schritte von Nicole und dem Akademiker weg.
»Monsieur«, erklang die Stimme des Butlers, sobald Zamorra den Anruf angenommen hatte. »Gut, dass ich Sie noch erreiche. Ich habe neue Informationen bezüglich der Trierer Stadtgeschichte, die Sie vielleicht interessieren könnten.«
»Solange Sie jetzt nicht auch vom Spear of Destiny anfangen wollen, bin ich ganz Ohr«, sagte Zamorra und schmunzelte, als am anderen Ende der Verbindung ein verwirrtes Schweigen entstand.
»Spear of…«, keuchte William verblüfft. »Monsieur le Professeur, wollen Sie etwa andeuten, dass die Vorkommnisse in Trier nun auch noch eine religiöse Komponente beinhalten?«
»Ich nicht«, antwortete der Meister des Übersinnlichen lächelnd. »Aber ein alter Freund von mir. Na, ist auch nicht so wichtig. Was haben Sie auf dem Herzen, William?«
Und Zamorra lauschte geduldig, während ihm William all das wiederholte, was er in den letzten Stunden von Archibald von Hoyten erfahren hatte.
***
»Manfred sagt, den Kindern geht es gut…«, keuchte Thomas Scheuerer auf der Mattscheibe des kleinen Fernsehgeräts, und Dirk Olaf Schilp verschluckte sich vor lauter Lachen beinahe an der Brezel, die sich der Hörfunkmacher des Trierer Regionalstudios von RPR1 gerade in den Mund geschoben hatte.
Oh, er liebte diese Sendung. Was Scheuerer da Woche für Woche abzog - und noch dazu erfolgreich abzog - war ein Ereignis, das man sehen musste, um es zu glauben. Immer wieder fanden sich genügend leichtgläubige Idioten, die auf Scheuerers Scharlatanerie hereinfielen und sich freiwillig und dankbar zu Opfern seiner Tricksereien machen ließen. Botschaften aus dem Jenseits, Seancen vor laufenden Kameras - Scheuerer versprach sie alle, und mit einer gehörigen Portion Menschenkenntnis und viel schauspielerischem Geschick überzeugte er die Deppen der Region davon, dass er tatsächlich mit den Toten sprach.
Es war wie diese furchtbaren Castingshows, fand Schilp und griff nach einer weiteren Brezel. Wären sie nicht so herrlich unterhaltsam, müsste man sie eigentlich verbieten. Schon allein, um die Dummen der Nation davor zu bewahren, sich selbst zum Affen zu machen.
Aktuell zeigte der Offene Kanal eine Sondersendung des selbst ernannten »Meisters des Übersinnlichen«. Scheuerer hatte sie mit viel Tamtam angekündigt und den Zuschauern eine große Überraschung in Aussicht gestellt, wenn sie nur dran blieben, war bisher aber nicht über seine üblichen Routinen herausgekommen. Er hatte zwei Hausfrauen Grüße ihrer verstorbenen Großonkel übermittelt - und in einem der beiden Fälle sogar
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